Vor dem Transport steht die Sicherung der Ladung mit geeignetem Zurrmaterial. Den Begriff Reibbeiwert sollte daher jeder Lkw-Fahrer kennen. Er beschreibt die Reibung der Ladung auf dem Untergrund und gibt exakte Hinweise zur Ladungssicherung.
Für beinahe jede Fracht gibt es Angaben - abrufbar beim Verband Deutscher Ingenieure (VDI) oder in der neuen europäischen Berechnungsnorm 12195-1. Eine Ausnahme bilden Fahrzeuge auf Autotransportern. Die VDI-Richtlinie 2700 (Blatt 8.1) präzisiert die Sicherung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auf Fahrzeugtransportern. Sie beschreibt die Art und Anzahl der Sicherungsmittel für die typischen Beladesituationen auf Autotransportern und bezieht sich für die rechnerische Herleitung dieser Vorschriften auf Abschnitt 1 und 2 der Richtlinie. Diese Abschnitte kennen aber ebenso wie die EN 12195-1:2010/AC:2014 nicht den spezifischen Reibbeiwert zwischen Profilreifen und geprägten Fahrzeugschienen, wie sie bei Fahrzeugtransporten zur Anwendung kommen. Dasselbe Problem liegt laut TÜV SÜD bei Blatt 8.2 der VDI-Richtlinie 2700 vor, welches sich auf den Transport von Lkw-Fahrgestellen, Sattelzugmaschinen und Traktoren bezieht.
Unklare Vorgaben
In der Praxis ergeben sich aus den unzureichenden Vorgaben zahlreiche Probleme: So kommt es bei Kontrollen immer wieder zu Differenzen zwischen Kontrollorganen und Fahrern, wenn es um die richtige Sicherung von Autotransporten geht. "Vor dem Hintergrund von 18.000 Autotransportern, die täglich über europäische Autobahnen rollen, leisten wir mit der Studie einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Mangelhafte Ladungssicherung gehört schließlich zu den häufigsten Unfallursachen", sagt Jürgen Wolz, Chief Operating Officer und Geschäftsleiter der TÜV SÜD Auto Service GmbH.
Mehr als 800 Zugversuche
Für die Untersuchung haben die Experten von TÜV SÜD und der Kässbohrer Transport Technik GmbH ein Jahr lang auf einem eigens errichteten Spezial-Prüfstand bei Kässbohrer in Eugendorf geforscht und in mehr als 800 realen Zugversuchen die wissenschaftlichen Grundlagen zur Errechnung von Reibbeiwerten beim Beladen von Autotransportern ermittelt.
Das Fazit der Experten: "Die Studienergebnisse sind eine profunde Basis für künftige Diskussionen in Fachkreisen - etwa auch in Normierungsgremien", sagt Markus Otremba, Leiter Fachgruppe Ladungssicherung bei TÜV SÜD. Michael Schnäller, Leiter Homologation bei Kässbohrer, und Stefan Meixner, Leiter Sonderbau bei Kässbohrer, wünschen sich darüber hinaus, "dass das erarbeitete Wissen in Regelwerken für die Praxis direkt anwendbar gemacht wird."
Und so funktionierten die Tests von TÜV SÜD und Kässbohrer auf dem eigens entwickelten Prüfstand: Ein Reifen wird auf die Prüfplatte gestellt, die unter diesem verschoben wird - in Längs- und Seitenrichtung. Dieses Verfahren wird je dreimal wiederholt und der Reifen dazu immer ein Stück weitergedreht. Das ist laut Schnäller wichtig, weil sonst das Ergebnis durch das "Verzahnen" des Reifenprofils mit den Lochblechen beeinflusst würde. Das Ganze kann trocken oder nass getestet werden. Dann ermittelt ein vollautomatisches Auswertungstool die Werte. Außerdem nimmt man Rücksicht auf das Reifengewicht und belastet jeden Pneu so, dass er mit 250 Kilogramm auf die Platte drückt.
Man hat den worst case getestet
Es wurden alle handelsüblichen Reifendimensionen für Pkw, Kleintransporter, Lkw und Traktoren zur Auswahl herangezogen. In einem Vortest wurden diejenigen Reifengrößen für Pkw und Lkw ausgewählt, welche den kleinsten und somit schlechtesten Reibbeiwert lieferten. Hinsichtlich der Profilbeschaffenheit wurden Sommerreifen, Winterreifen und Offroad-Reifen mit je unterschiedlichen Abnutzungsgraden betrachtet. Gemessen wurde mit Reifendrücken von 0,5 bis 2,0 bar.
Studien-Download möglich
Die Studie zu den Reibbeiwerten beim Beladen von Autotransportern steht zum Download auf der Homepage von TÜV SÜD bereit. "Ein wichtiger Schritt, denn bisher waren die Angaben in den Richtlinien des VDI im Spezialbereich Autotransporter sehr allgemein", erklärt Otremba. "Reibbeiwerte gehören jedoch zu den wichtigsten Bausteinen bei der Berechnung der ordnungsgemäßen Ladungssicherung."
Auf der Grundlage der Erkenntnisse von TÜV SÜD und Kässbohrer soll nun ein praxisfreundliches Berechnungsmodell für die Ladungssicherung von Fahrzeugen auf Fahrzeugtransportern entwickelt werden. Ein wichtiges Werkzeug in der Hand von Lkw-Fahrern. "Denn Fahrzeugtransporte ohne geeignete Fahrbahnschienen sind ein Sicherheitsrisiko für den Straßenverkehr", betont Lkw-Fachmann Otremba. "Das haben unsere Untersuchungen ebenfalls ganz klar gezeigt."
Kurzfassung
Weil die vorhandenen Normen zur Ladungssicherung nur unzureichend die Verhältnisse bei Autotransportern beschreiben, haben TÜV SÜD und Aufbautenhersteller Kässbohrer in eigenen Testreihen realistische Reibbeiwerte ermittelt.
Bedeutung von Reibbeiwerten
Die Reibungskraft ist die natürliche Ladungssicherung, denn sie ist von dem Moment an da, in dem die Ladung auf der Ladefläche steht. Diese Reibung zwischen den Materialien erschwert der Ladung das Rutschen und hält sie zu einem gewissen Teil an ihrem Platz. Wie viel Prozent der Ladungssicherung durch die Reibung geleistet werden kann, hängt unter anderem von den Materialien, also z. B. der Ladefläche und der Ladung selbst ab.Je größer der Reibbeiwert, desto weniger muss die Ladung zusätzlich gegen Verrutschen gesichert werden.Ein Beispiel: Hat ein Auto mit einer Tonne Gewicht mit bestimmten Reifen auf einer genau festgelegten Fahrbahnschiene in Fahrtrichtung einen Reibbeiwert von 0,4, werden 400 Kilo bereits durch die Reibung gesichert. Das heißt für den Belader, der laut Vorgaben 80 Prozent des Gewichts in Fahrtrichtung sichern muss, dass er noch 400 Kilo mit entsprechenden Gurten und den dazugehörigen Verfahren befestigt. Eine wichtige Angabe, die bislang fehlte. Auf der Grundlage der neuen Berechnungen und Tests soll nun ein praxisfreundliches Berechnungsmodell für die Ladungssicherung von Fahrzeugen auf Fahrzeugtransportern entwickelt werden.
- Ausgabe 07/08/2016 Seite 60 (267.5 KB, PDF)