Am Sitz des Autobauers Daimler in Stuttgart reißt der Strom der "Dieselklagen" gegen den Konzern nicht ab. Seit Jahresbeginn sind am dortigen Landgericht inzwischen rund 1.400 Klagen von Autobesitzern eingegangen, die Daimler die Nutzung einer illegalen Abgastechnik vorwerfen, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Allein im dritten Quartal sind 600 neue hinzugekommen. "Die Dieselverfahren nehmen weiter dramatisch zu. Eine Entspannung ist nicht absehbar", sagte Gerichtspräsident Andreas Singer.
Stuttgart als Daimler-Heimat dürfte zwar mit Abstand die meisten Klagen zu bearbeiten haben, in denen es in der Regel um die Forderung nach Schadenersatz geht. Je nach Fallkonstellation können aber grundsätzlich auch andere Gerichte in Frage kommen.
Deutschlandweit haben Gerichte nach Angaben von Daimler selbst inzwischen in gut 850 Verfahren ein Urteil gesprochen - überwiegend im Sinne des Autobauers. Auf Landgerichtsebene seien 776 Fälle für und 56 gegen den Konzern entschieden worden, sagte ein Sprecher. Gegen diese 56 sei man in Berufung gegangen oder werde das noch tun. Auf Ebene der Oberlandesgerichte seien bislang 21 Entscheidungen für und keine einzige gegen Daimler gefällt worden. Eine Gesamtzahl der Klagen an allen deutschen Gerichten nennt der Konzern nicht.
Widerspruch gegen Rückrufe
Der Autobauer bestreitet, dass die in den Mercedes-Fahrzeugen eingebauten Funktionen zur Steuerung der Abgasreinigung unzulässig sind. Die Behörden sehen das anders und haben Daimler bereits mehrere Rückrufe mit Hunderttausenden betroffenen Autos auferlegt. Der Autobauer kommt diesen Rückrufen nach, hat aber zugleich Widerspruch dagegen eingelegt. Höchstrichterliche Entscheidungen gibt es noch nicht. Am Landgericht Stuttgart stehen an diesem Mittwoch gleich 22 Fälle auf einmal zur Verhandlung an.
Neben der Abgasreinigung haben etliche Klagen aber auch die Widerrufsbedingungen in Kredit- oder Leasingverträgen zum Ziel. Rund 400 solcher Fälle sind seit Jahresbeginn am Landgericht Stuttgart eingegangen - auch hier steckt hinter vielen letztlich das Ansinnen, ein Diesel-Fahrzeug möglichst ohne finanzielle Einbußen loszuwerden. Bundesweit habe es dazu bislang 660 Entscheidungen gegeben, davon 99 Prozent pro Daimler, wie das Unternehmen angibt.
Insgesamt haben die Stuttgarter Richter allein im Oktober 1.127 neue Zivilverfahren auf die Schreibtische bekommen. Das ist noch einmal ein gutes Viertel mehr als im Oktober 2018, als die Zahl wegen der "Dieselklagen" gegen VW schon deutlich gestiegen war. Nehme man die Signale aus der Anwaltschaft ernst, müsse sich das Gericht auf eine jahrelange strukturelle Mehrbelastung einstellen, warnte Singer. "Wir brauchen deshalb dringend Verstärkung." (dpa)