Von Wolfram Nickel/SP-X
"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", erklärte Ende der 1980er Jahre Michail Gorbatschow vor dem Fall der Berliner Mauer. Das gilt aber auch für Frühstarter, wie BMW aus seiner Kombi-Vergangenheit wusste. Konnte doch die dynamische 02-Reihe als dreitüriger Touring mit großer Heckklappe 1971 noch nicht reüssieren, so dass die Bayern ihr nächstes Kombi-Konzept erst zwei Fahrzeuggenerationen später zeigten. Damals, im Spätsommer 1987, überraschte BMW die Autowelt mit dem ersten 3er Touring (E30). Ein ebenso praktischer wie schneller Lifestyler, der die leistungshungrigen Dynamiker und besserverdienenden Yuppies mitten ins Herz traf. Gab es doch bis dahin nur biedere, auf maximale Kapazität ausgelegte mittelgroße Kombis, die vor allem als Familien- und Firmentransporter taugten. Nun aber lancierte BMW stylische Laster für die linke Spur in Form der fünftürigen Touring-Typen 320i, 325i und 324td. Tempo auf dem Weg zum Beachclub, Bodybuilder oder ins Büro garantierten im Touring einer der schnellsten Sechszylinder-Turbo-Diesel und starke Benziner, mit denen die Münchner damals sogar drängelnde Maserati auf Distanz halten konnten. Noch cooler wurde Kombifahren mit der Allradversion 325iX, die auch in Ingolstadt auffiel. Allerdings dauerte es noch fünf Jahre, bis Audi mit dem 80 Avant eine Antwort fand und erst 1996 gab es die Mercedes C-Klasse als Kombi. Da war der 3er BMW bereits auf bestem Weg zum Urmaß für kompakte Kombi-Dynamiker.
Es war ein irres Jahrzehnt. In den Achtzigern wollten die einen freiwillig Tempo 100, um die Welt zu retten, die anderen schnelle Allradler oder 1987 gar den ersten deutschen Zwölfzylinder nach dem Krieg: Ein 300-PS-V12 von BMW. "Geld spielt keine Rolex", wurde den karrierebewussten Yuppies nachgesagt und BMW spielte endgültig wieder in der Luxusliga. Warum nicht diesen Erfolg auf die zweite Generation des 3ers (E30) übertragen, sagten sich die Münchner und lancierten das meistverkaufte Modell der Marke zuerst als exklusives viersitziges Cabriolet sowie als extrastarken M3 und schließlich auch als extravaganten Touring. Ein kompakter, nur 4,33 Meter messender Kombi, wie die automobile Mittelklasse noch keinen gesehen hatte.
War doch dieser 3er kein weiterer Lademeister, der sich mit etablierten Raumriesen wie VW Passat Variant oder Ford Sierra Turnier messen wollte, sondern ein stilprägender Fünftürer neuer Art, den es anfangs ausschließlich als prestigeträchtigen Sechszylinder gab. So transferierte der 3er Touring den bis dahin nur wenigen Kombis der oberen Mittelklasse vorbehaltenen Komfort auf ein handlicheres Format. Besonders der 324td als schnellster Selbstzünder seines Segments und der 325iX als einziger Kombi dieser Kategorie mit Vierradantrieb via Verteilergetriebe mit Visco-Kupplung überraschten. Neben der zeitlos eleganten Form war dies die Grundlage für eine neue Erfolgsstory. Denn der erste fünftürige Serienkombi von BMW begeisterte vor allem Business-Class-Käufer mit dem Wunsch nach der großen Klappe fürs Freizeitgepäck, denen aber Audi 100 Avant und Mercedes E-Klasse zu groß waren.
Was seinem wagemutigen Touring-Vorläufer der legendären BMW 02-Reihe in den 1970er Jahren noch verwehrt geblieben war, gelang nun im zweiten Touring-Anlauf dem BMW 3er: Die Lust auf sportive Luxuslaster in die Mitte der automobilen Gesellschaft zu tragen. Der sparsamen Kinderwagen-Klientel unter den Kombifahrern waren beide Heckklappen-BMW entwachsen, indem sie Preise für Besserverdienende aufriefen. Aber während die dreitürigen, in der Art sportiver Shooting Brakes gezeichneten BMW 02 Touring in den 1970er Jahren noch zu sehr Avantgarde waren, traf der 3er Touring den Zeitgeist jetzt ins Mark. Es war ein anhaltender Sensationserfolg, von dem selbst BMW überrascht wurde, denn der erste 3er Touring überlebte die Limousinen der E30-Baureihe bis Mitte der 90er Jahre. Erst 1995 kam eine neue 3er Touring-Generation (E36/3) in den Handel, die den Hype der kleinen Edel-Laster weiter beflügelte. Spätestens ab der Jahrtausendwende und mit dem dritten, deutlich größer ausgefallenen 3er Touring (E46/3, ab 1999) wagten fast alle wichtigen BMW-Wettbewerber einen eigenen Vorstoß mit kompakten Luxustransportern. Gleich ob Cadillac BLS, Jaguar X-Type, Lancia Lybra, Lexus IS, Rover 400, Saab 9-3, Volvo V40/V50, schicke Fünftürer machten vorübergehend vor Opernhäusern, Designer-Outlets oder Bürogebäuden eine bessere Figur als Limousinen.
Anfangs nicht vorgesehen
Wie wenig diese Lust auf Lifestylelaster ursprünglich von BMW erwartet worden war, zeigt sich in der außergewöhnlichen Entstehungsgeschichte des ersten 3er Touring, der für die E30-Reihe anfangs gar nicht vorgesehen war. Tatsächlich war es ein BMW-Ingenieur, der sich 1984 aus privaten Gründen Gedanken zu einem Fahrzeug machte, das Fahrspaß und praktischen Nutzen miteinander verbinden sollte.
Ausschlaggebend für die Überlegungen war seine Familiensituation – ein neues Mitglied kündigte sich an und ein Kombi sollte her. Nachdem er seinen Vorgesetzten informiert hatte, stellte er im Oktober 1984 eine 3er Limousine in die Garage, versetzte die C-Säule nach hinten und ergänzte ein Mittelstück. Die Heckklappe ließ er oberhalb der Rücklichter enden. Sechs Monate später präsentierte er das fertige Auto, immer noch mit dem Gedanken der rein privaten Verwendung seinen Vorgesetzten – und die waren begeistert.
Nur zweieinhalb Jahre später war aus dem anfänglichen Freizeitprojekt ein neuer Premierenstar der Frankfurter IAA hervorgegangen. Obwohl ein guter ausgestatteter 3er Touring 1987 fast so viel kostete wie ein BMW 730i oder eine Mercedes S-Klasse, wurde der Kombi ein Bestseller. Noch kurz vor Ende seiner Bauzeit gelingt dem E30-Touring 1993 eine weitere, letzte Überraschung. Trägt er doch dazu bei, dass die 3er BMW erstmals den dritten Platz in der deutschen Zulassungsstatistik erobern, dies hinter VW Golf und Opel Astra. Noch erfolgreicher war zuvor nur ein hochpreisiges Auto, die Mercedes E-Klasse hatte sich kurzzeitig sogar auf Platz eins positioniert. Deutliche Signale dafür, dass Premiumpreise hierzulande mehrheitsfähig wurden, zumal der Anteil von Finanzierungs- und Leasingkäufen immer größer wurde. BMW hatte übrigens den Erfolg des Touring-Konzepts schon 1991 auf den 5er übertragen, der mit einem großen Doppelschiebedach und einem separat zu öffnendem Heckfenster überraschte. Diese praktische Extravaganz adaptierten fast alle Touring-Typen.
Die Verkaufszahlen der 3er Limousine hat der Touring auch mit den 2005 und 2012 eingeführten Generationen vier (E91) und fünf (F31) nicht übertroffen, was aber daran liegt, dass Kombis vor allem in Europa en vogue sind und die 3er Baureihe für BMW ein globaler Bestseller ist. Dafür düst der Lifestylelaster seinen Rivalen immer wieder durch mutige Antriebe davon. Waren dies früher meist mächtige Diesel, dürfen es im aktuellen 3er Touring die ersten Dreizylinder-Benziner des Segments sein. Die Fans sehen es überraschend gelassen, vielleicht weil der Touring noch immer Lust auf Leistung macht.