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60 Jahre BMW Isetta: Billiger als ein Großstadt-Dackel

14.04.2015 01:42 Uhr
Vier Räder und ein Dach überm Kopf, das war der Traum fast aller Zweiradfahrer im ersten Nachkriegsjahrzehnt.
© Foto: BMW

Im ersten Nachkriegsjahrzehnt kämpften über 30 Kabinenrollerhersteller um Kunden. Allen voran BMW mit der legendären Isetta.

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Von Wolfram Nickel/SP-X

Es waren glamouröse V8-Modelle und geradezu sensationelle Erfolge im Motorradsport, mit denen BMW im Jahrzehnt des Wirtschaftswunders die Rückkehr in den Zirkel der weltweit begehrenswertesten Marken feierte. Entsprechend groß war das Entsetzen vieler Fans, als die Münchner Marke im Frühjahr 1955 eine automobile Minimalmotorisierung namens Isetta vorstellte. Eine Einstiegstür, eine Sitzbank, Einzylinder-Motorradantrieb, 1,50 Meter Radstand – weniger ging wirklich nicht.

Bald waren Spottnamen für das sogenannte Motocoupé gefunden wie Schlaglochsuchgerät, Asphaltblase oder Adventsauto in Anspielung auf die patentierte aufschwingende Fronttür. Allein durch diese Öffnung war das Unikum zu besteigen, das trotz aller Bescheidenheit genug Platz bot für die dreiköpfige Familie und sogar für die Urlaubsfahrt ins ferne Italien, dem Land damaliger Sehnsüchte. So wurde die eiförmige Knutschkugel ein Auto zum Schwärmen, zumindest für alle Zweiradkäufer mit dem Wunsch nach vier Rädern und wettergeschütztes Reisen. Tatsächlich konnten viele der gut 30 konkurrierenden Kleinstwagen nicht einmal diesem geringen Lastenheft gerecht werden, weshalb der winzigste BMW am Ende ein echter Bestseller war. Vor allem aber seine wichtigste Mission erfüllte: Den Münchnern das finanzielle Überleben zu sichern.

Konnte BMW doch mit den parallel angebotenen Oberklassemodellen 501 und 502 sowie den sportlichen Schönheiten 503 und 507 trotz prestigeträchtiger V8-Motoren nie genügend Gewinn erzielen. Als die Bilanz für 1956 ein Defizit von mehr als sechs Millionen Mark auswies, begann sogar das Management den Glauben an die eigene Marke zu verlieren, wie eine Unternehmenschronik frustriert konstatierte. Hinzu kam, dass sich der Nachkriegsmotorradboom längst dem Ende zuneigte, woran bei BMW auch eine Serie an sportlichen Weltmeisterschaftstiteln nichts änderte. Wurden 1954 noch annähernd 30.000 Motorräder verkauft, waren es 1957 gerade einmal 5.400 Einheiten.

Da musste es schon als Glück gelten, dass BMW im letzten Moment auf den Modetrend der Kabinenroller aufgesprungen war und die Isetta ab 1955 sowie deren Weiterentwicklung BMW 600 ab 1957 dringend benötigtes Kapital erwirtschafteten, bis dann 1959 der Typ 700 als erster BMW-Kleinwagen in Pontonform für Furore sorgte. Vor allem übernahm nun einer der größten Aktionäre, Herbert Quandt, einen erheblichen Teil des BMW-Kapitals und stellte so die Weichen für den Start der Modellreihe BMW 1500 bis 2000. Erst als diese sogenannte "Neue Klasse" 1962 in den Verkauf kam, verabschiedete sich die Isetta in den dann wahrlich wohlverdienten Ruhestand: Mit rund 162.000 verkauften Einheiten hatte sie es zum meistgebauten Einzylinder-Auto aller Zeiten gebracht.

Mangel an finanzieller Masse

Eine derartige Erfolgsbilanz hatten der Isetta anfangs nicht einmal die Optimisten in der BMW-Chefetage zugetraut. Bestimmte doch Mangel an finanzieller Masse die Entwicklung eines BMW-Mikromobils. Auf dem Genfer Salon 1954 entdeckten BMW-Entwicklungsingenieure jedoch ein hübsches italienisches Dreirad-Citycar, das ideal geeignet schien für den Einbau eines BMW-Motorradmotors und mit vier Rädern zum Auto aufgerüstet werden könnte. Also knüpfte BMW Bande zu dem jungen Turiner Kleinstauto-Hersteller Iso, der seine hübsche Isetta in Italien bereits zum Erfolgsmodell gemacht hatte. Überdies hatte Unternehmenschef Renzo Rivolta bereits internationale Lizenzen an europäische und südamerikanische Hersteller verkauft. Auch BMW erhielt eine Lizenz und außerdem das Recht zum Isetta-Export auf andere Märkte wie Österreich, in die Schweiz und nach Skandinavien.

Sogar eine Isetta-Variante mit Rechtslenkung gab es – und  eine Serie von 1.500 Isetta mit nur drei Rädern, um Steuervorteile auf manchen Märkten zu nutzen. Zuerst aber musste BMW einen Prozess gewinnen gegen die rheinischen Hoffmann-Werke. Die "Hoffmann Auto Kabine" war bis auf die seitliche Tür ein Plagiat der Isetta, das der deutsche Vespa-Roller-Hersteller Jakob Oswald Hoffmann 1954 selbstsicher in Serie gehen ließ, nachdem ihm Iso eine Lizenz verweigert hatte.

Was nur der BMW Isetta gelang und so allen anderen Mikroben vom Gutbrod Superior über den Maico Champion bis zum Zündapp Janus und letztlich sogar dem legendären Messerschmitt Kabinenroller verwehrt blieb, war der Erfolg des Massenmodells mit eindrucksvoller sechsstelliger Produktionszahl. Allein das größere Goggomobil war noch populärer, konnte dafür jedoch nicht als Gesellschaftslöwe glänzen wie die hübsche Isetta. Denn die Münchnerin beherrschte geradezu großartig den Spagat zwischen Sparwunder und schrillem Glamourgirl.

"Weniger Steuer als ein Großstadt-Dackel"

Während die BMW-Werbung noch darauf verwies, dass die Isetta "weniger Steuer" koste "als ein Großstadt-Dackel", schmückten sich Stars bei Fototerminen bereits gerne mit dem Motocoupé. Gleich ob Formel-1-Seriensieger Stirling Moss, Hollywood-Superstar Cary Grant oder Leinwandlegende Curd Jürgens, die Isetta war Kult. Sogar der King of Rock'n Roll, Elvis Presley, ließ sich mit einer fotografieren, angeblich schenkte er sie später seinem Manager. Vor allem aber erfüllte die Isetta alle automobilen Motorisierungswünsche, gab es sie doch bereits ab 2.550 Mark. Dafür genügte dem durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer ein halbes Jahresgehalt. Billiger war damals kaum ein anderes autobahn- und langstreckentaugliches Gefährt - "die Berge hinunter an die 100 km/h", jubelte die Presse. Noch wichtiger, die Isetta machte niemanden zur "Witzblattfigur", schließlich gab es von manchen Marken Vehikel, die als Konservendosen und "Menschen in Aspik" verspottet wurden.

Stattdessen punktete die wendige und handliche Isetta sogar bei den Frauen, zumal das BMW-Marketing kommunizierte: "Frauen fahren besser". Vor allem wenn der laut Werbung mit seinem Wagen "etwas eigene Herr Gemahl" einen V8-BMW chauffierte. Tatsächlich gab es für das 2,29 Meter kurze Coupé mit der vorderen Tür von BMW-Konstrukteur Fritz Fiedler einen Tipp fürs Einparken: "Man fährt senkrecht zur Bordschwelle in die Parklücke hinein, parkt das Fahrzeug und steigt nach vorn unmittelbar auf den Gehsteig aus." Eine Parkordnung, auf die sich später Smart-Fahrer besannen, auch wenn ihr Mobil deutlich länger war.

Die Isetta überlebte die meisten ihrer Konkurrenten, aber Ende der 1950er Jahre hatten  spartanische Kleinstwagen ihren Zenith überschritten, die Kunden verlangten richtige Autos. BMW schickte deshalb zunächst den Typ 600, eine verlängerten Isetta mit Zweizylinder-Boxermotor ins Rennen. Tatsächlich konnte der rundliche Viersitzer der Isetta den Rang als Umsatzbringer Nummer eins ablaufen, trug er doch 1958 zu 39 Prozent am BMW Umsatz bei, dagegen brachte es die Isetta auf 27 Prozent. Dennoch verbuchte der kürzeste BMW-Vierrädler noch bis 1962 Erfolge, zuletzt durch CKD-Lieferungen zur Montage im Ausland.


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