Es liegt in der Natur der Sache, dass Ladesäulen auf dem Rubicon Trail nicht gerade aus dem Boden wachsen. Der legendäre Offroad-Spielplatz in Kalifornien, auf dem sich Kraxler aus der ganzen Welt austoben, ist für den Avenger die falsche Kulisse. Jeep muss das Terrain wechseln. Der neueste Abenteuerfilm der amerikanischen Kultmarke spielt in den Citys. Mit dem Baby-Jeep Avenger fährt jetzt das erste Elektromobil der US-Marke vor. Er ist zudem das kleinste jemals von Jeep gebaute Fahrzeug und auch das erste Modell, das ausschließlich für Europa konzipiert wurde.
Ohnehin ist der Avenger ein Europäer durch und durch. Vom Band läuft er im polnischen Tychy, wo einst der Polski Fiat 126p gefertigt wurde und zuletzt der aktuelle Fiat 500 sowie der Lancia Ypsilon. Zudem stammt der neu entwickelte Elektromotor des Avengers aus Frankreich, das Design aus Italien. Mit dem Kleinsten startet Jeep seine Elektro-Offensive. Bis 2026 sollen vier batterieelektrische Fahrzeuge das Portfolio ergänzen, bis 2030 will die US-Marke ihre Palette in Europa dann komplett auf BEV-Modelle umgestellt haben.
Jeep Avenger
BildergalerieDen Anfang macht nun also der Junior-Stromer. Und bekommt als Mitgift vom Stellantis-Konzern, zu dem Jeep gehört, als erstes Modell die neue eCMP2-Plattform, die sich Opel, Peugeot und Citroën früher oder später ebenfalls schnappen werden. Gerüchteweise könnten auch kleine SUV-Ableger von Fiat und Alfa von diesem modernen Unterbau profitieren.
Mit 4,08 Metern erreicht der Avenger gerade mal Polo-Format und ist noch einmal eine Handylänge kürzer als der bislang kleinste Jeep, der Renegade (4,27 Meter). Zudem wird er zunächst ausschließlich mit Frontantrieb vorfahren, eine Allradversion soll nächstes Jahr folgen. Wer vom asphaltierten Pfad der Tugend abkommt, dem helfen kurze Überhänge sowie eine Schlupfregelung mit drei verschiedenen Fahrmodi (Sand, Schnee, Schlamm), um sich wieder aus dem Schlamassel zu befreien. Eine Bergabfahrhilfe ist ebenfalls immer an Bord.
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Spielzeug aus der Marketingabteilung
Für Hardcore-Fans der Marke, für eingefleischte Jeeper, wird der Avenger kaum mehr sein als ein Spielzeug aus der Marketingabteilung. Allerdings ein optisch sehr gelungenes. Der Avenger lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er mal ein echter Jeep werden möchte, wenn er groß ist. An der Front die modernste Interpretation des ikonischen Seven-Slot-Grills, daneben grimmig dreinblickende LED-Scheinwerfer (Serie). Seitlich pustet der Mini-SUV seine Muskeln auf und zeigt leicht ausgestellte Kotflügel nach Wrangler-Art, schwarze Kunststoffleisten rundum schützen vor teuren Kratzern, falls sich doch mal jemand mit dem Nachwuchs-Jeep anlegen will. Den Abschluss bilden Rücklichter mit dem obligatorischen X in der Leuchtengraphik.
Trotz der begrenzten Abmessungen geht es innen nicht zu wie in einer Sardinenbüchse. Die Platzverhältnisse sind angemessen, ebenso das Kofferraumvolumen von 355 Litern. Reichlich verwendetes Hartplastik an Cockpit und Türen hatten wir angesichts der Preispolitik befürchtet, eine farbige Leiste quer übers Armaturenbrett lenkt zumindest ein wenig von der Tristesse des Sparzwangs ab. Dazu eine Tastenreihe für direkt anwählbare Funktionen, darüber mittig ein 10,25 Zoll-Touchscreen. Das digitale Tachodisplay ist optional genauso groß, in der Basis müssen 7 Zoll reichen. Klimaautomatik und Rückfahrkamera fahren immer mit, zudem die handelsüblichen Assistenten.
Europaweit haben bereits über 20.000 Kunden "blind" einen Kaufvertrag unterschrieben, ohne einmal im Auto gesessen zu haben. Damit die Leistung stimmt, hat Jeep ihm einen Antrieb mit 115 kW / 156 PS verabreicht, die drei E-Brüder aus der Stellantis-Familie DS E-Tense, Peugeot e-2008 und Opel Mokka-e müssen bislang mit 100 kW / 136 PS auskommen. Kurioserweise bietet Jeep seinen Saubermann in Italien und Spanien auch noch mit einem 1,3 Liter-Benziner an. Auch wenn das nicht wirklich stringent zur E-Strategie passen mag, wird es sich schon rechnen.
Stadtbetrieb: Sogar 550 Kilometer
In der E-Version jedenfalls fährt ein relativ kleiner und mit 320 Kilo vergleichsweise leichter 54 kWh-Akku mit, in dem laut Jeep eine maximale Reichweite von knapp 400 Kilometern steckt. Im reinen Stadtbetrieb sollen sogar 550 Kilometer drin sein. Bei einer Ladeleistung von 100 kW ist dieser in 24 Minuten von 20 auf 80 Prozent gefüllt, mit 11 kW dauert es fünfeinhalb Stunden.
Schon die ersten Meter im Avenger bestätigen, dass er höchstens die perfekt inszenierte Illusion eines Jeeps ist. Und das ist gut so. Denn das Abenteuer Alltag kann auf derben Charme raubeiniger Offroad-Helden gut verzichten. Der Avenger soll nicht nerven. Deshalb haben die Jeep-Väter ihrem hübschen Szene-Süvchen einen exzellenten Komfort verpasst. Nur auf wirklich grobem Pflaster dringen Unruhe und Dröhngeräusche zu den Insassen vor. Ansonsten federt der Avenger bemerkenswert erwachsen. Die Lenkung mag einigen zu leichtgängig und unpräzise sein, zum Charakter eines kompakten Mobils, das wendig und leichtfüßig die City erobern will, passt sie wie der Deckel auf den Topf. 10,5 Meter Wendekreis sind zudem eine Ansage, die noch nicht einmal der besagte Polo unterbieten kann.
In den Kurven: Leicht, aufrecht und kalkulierbar
Hinter den Stadtmauern schwimmt der Avenger unaufgeregt im Verkehr mit. Kurven nimmt er aufrecht, kalkulierbar und keineswegs wankelmütig. Man spürt, dass mit dem vergleichsweise leichten Avenger (1,6 Tonnen) kein massiger Elektro-Klotz am Gas hängt. Wobei ihm der spontane Antritt ehrlich gesagt komplett abgeht. Zumindest im "Normal-Modus" kommt nicht viel mehr als eine gleichmäßige und wenig aufregende Beschleunigung. Erst im Sport-Programm entwickelt der E-Antrieb so etwas wie Ehrgeiz. Wer es ruhig angehen lässt - was auch viel besser zum Wesen des Avengers passt – freut sich über Verbräuche zwischen 15 und 16 kWh.
Ab Juni geht der Nachwuchs-Jeep bei uns an den Start. Die First Edition für 30.000 Euro ist bereits ausverkauft, jetzt startet der Avenger bei 37.000 Euro. Abzüglich der 6.750 Euro E-Prämie bleibt ein Preis von etwas über 30.000 Euro. Ein durchaus kalkulierbares Abenteuer.