Von Patrick Broich/SP-X
Fünfzig Jahre ist es her, als Hans-Werner Aufrecht zusammen mit Erhard Melcher die AMG-Schmiede gründet. Die drei Buchstaben bedeuten nichts Anderes als Aufrecht, Melcher und Großaspach, der Ort, wo Aufrecht geboren ist. Aufrecht und Melcher hatten sich darauf spezialisiert, Mercedes-Modelle für den Motorsport zu optimieren – und konnten gleich vier Jahre nach Firmengründung einem W109 zum Klassensieg beim 24-Stunden-Rennen von Spa verhelfen. Der um 500 Kubikzentimeter aufgebohrte und entsprechend umgetaufte 300 SEL 6,8 in roter Lackierung erlangte Berühmtheit als „rote Sau“.
AMG hat immer wieder umfangreiche und komplexe Entwicklungen vorgenommen – während Mercedes selbst die Vierventiltechnik erst 1989 einführte, entwarf Melcher bereits im Jahr 1984 einen neuen Zylinderkopf mit vier Ventilen pro Zylinder für den M117, den baureihenübergreifenden Marken-Achtzylinder. Außerdem verpassten die Manufaktur-Ingenieure dem V8 bis zu sechs Liter Hubraum und bauten eine Kleinserie mit ihm und dem W124, der sich in den USA den Spitznamen "The Hammer" einhandelte – kein Wunder bei einer Leistung von bis zu 280 kW / 385 PS, schließlich hatte das stärkste Serienmodell zu dieser Zeit lediglich 300 Pferdchen zu bieten. In der oberen Mittelklasse W124 war im Jahr 1988 bei 138 kW / 188 PS Ende der Fahnenstange.
Erst im Jahr 1999 erwarb die damalige Daimler Chrysler AG 51 Prozent von AMG, und eine hundertprozentige Tochter wurde der Sportwagen-Spezialist im Jahr 2005. Heute sind die Tüftler in Affalterbach quasi integraler Bestandteil der Mercedes-Entwicklung, arbeiten mitunter allerdings durchaus abgegrenzt voneinander. Der Mercedes SLS AMG war das erste von AMG in Eigenregie entwickelte Fahrzeug. Darüber hinaus übernimmt AMG Projekte, die modellübergreifend auch für "zivile" Versionen greifen. So liegt inzwischen nicht nur die V12-, sondern auch die V8-Kompetenz bei AMG.
Antwort auf Bugatti Chiron, La Ferrari oder McLaren P1
Bei aller Modellvielfalt, die im Laufe des letzten Jahrhunderts zusammengekommen ist – ein richtiges Hypercar war bisher nicht dabei. Doch jetzt möchte AMG endlich auch jenen Kunden eine Antwort bieten, die für gewöhnlich im Segment von Bugatti Chiron, La Ferrari oder McLaren P1 stöbern. Das AMG-Entwicklungsteam um Jan Feustel und Phillipp Eckert wird auf der IAA ein Fahrzeug präsentieren, das antriebstechnisch fast eins zu eins Formel 1-konform daherkommt.
Demnach werkelt unter dem Kleid des Project One ein nur 1,6 Liter großer V6-Motor. Dazu gesellen sich drei E-Einheiten sowie ein (hier vergrößerter) Energiespeicher, um verschiedene Antriebskonfigurationen zu ermöglichen. Gemütlich mit 240 kW / 326 PS in die Einfahrt rollen, ist also kein Problem für den Straßenrenner – beim Formelwagen ginge das nicht. Für 25 Kilometer reicht die elektrische Power – und mit der alleinigen Leistung auf der Vorderachse kann man immer noch für richtig Druck im Kreuz sorgen. Wenn alle Triebwerke volle Kraft geben, soll die Leistung über 1.000 PS betragen – genaue Daten bleiben die Ingenieure bislang schuldig. Auch über das Gewicht verrät Philipp Eckert derzeit noch nichts. Gesetzt ist allerdings, dass ein elektrischer Verdichter zum Einsatz kommt, der das klassische Turboloch überbrückt. Der Lader mit verstellbarer Turbinengeometrie wird einerseits vom Abgas angeströmt, kann aber per Welle gleichzeitig auch von einer 80 kW-Maschine angetrieben werden.
Abgesehen von der zusätzlich und radselektiv (ermöglicht Torque-Vectoring) angetriebenen Vorderachse bekommen die Kunden des intern R50 genannten Hypercars ein paar weitere Modifikationen zum F1-Auto mit auf den Weg. Während der echte Formel 1-Wagen einige Minuten braucht, bis er startklar ist, kann der künftige AMG schlicht angelassen per Knopfdruck werden. Die Motordrehzahl des Mini-Sechszylinders beläuft sich auf maximal 11.000 Touren – bei der Formel 1 darf er bis 13.500 Umdrehungen jubeln. Außerdem müssen die Emissionen sowie der Lärmpegel unter Kontrolle gebracht werden, hier gelten im Rennsport andere Spielregeln. Als Kraftübertragung fungiert ein achtstufiges, ebenfalls autark entwickeltes automatisiertes Schaltgetriebe – das ist von der Technik zwar simpler als die inzwischen etablierte Doppelkupplung, aber auch leichter und platzsparend.
Fahrdynamik wichtiger als Höchsttempo
Ob das AMG-Hypercar analog zum Bugatti Chiron auch über 400 km/h schnell fahren wird können, bleibt abzuwarten – allerdings liegt Philipp Eckert die Fahrdynamik mehr am Herzen als schieres Höchsttempo. Wer unter den maximal 300 Kunden sein will, sollte vorsichtshalber schon mal rund 2,5 bis 3 Millionen Euro flüssigmachen. Und wer darüber hinaus plant, mit dem Boliden Strecke abzureißen, wird nach 50.000 Kilometern gebeten, eine Vollrevision durchführen zu lassen, bei der Motor und Getriebe vorsorglich ausgebaut werden, um sich akribisch untersuchen lassen zu können. Die Preisfrage kann auch hier noch nicht beantwortet werden – am detaillierten Wartungsplan arbeitet AMG gerade. Angeblich soll die Produktion sogar schon ausverkauft sein. Die Auslieferung des Hypercar beginnt erst übernächstes Jahr, lange nach dem 50-jährigen AMG-Geburtstag.