Von Benjamin Bessinger/SP-X
Schön geht irgendwie anders. Denn sonderlich repräsentativ sieht das Gebäude an der Ecke Whatney Street/Rockfield Boulevard nicht aus und jedes der vielen Fastfood-Restaurants in dem Gewerbegebiet von Irvine, eine Stunde südlich von Los Angeles, macht mehr her als dieser Zweckbau, an dem fast schon bescheiden der Mercedes-Stern prangt. Selbst drittklassige Gebrauchtwagenhändler haben mehr Glamour in Kalifornien. Doch sobald man in den Vorraum tritt, stockt einem der Atem – und zwar nicht nur wegen der Klimaanlage im Permafrost-Modus. Man sieht Mercedes-Oldtimer, wohin man nur schaut. Alle sind sie herausgeputzt, als wollten sie gleich in Pebble Beach den Concours gewinnen. Und viele davon mit fast noch jungfräulicher Laufleistung. Der schwarze 300 D Adenauer sieht aus, als wäre er nicht 1961, sondern erst gestern vom Band gelaufen. Der 300er Roadster in Weiß hat seine besten Zeiten erst noch vor sich und selbst der Nachbau des Patent-Motorwagens hat noch kein Körnchen Staub angelegt.
Dass hier mehr Sterne leuchten, als auf dem Walk of Fame in Hollywood, hat einen einfachen Grund: Wir sind zu Gast im Mercedes Classic Center, dem westlichsten Außenposten der Stuttgarter Historien-Abteilung, die hier nicht nur Autos ausstellt und verkauft, sondern vor allem eine ausgesprochen rührige Werkstatt betreibt. Wer im Foyer schon den Mund aufreißt, der kommt aus dem Staunen spätestens dann nicht mehr heraus, wenn ihn Hausherr Michael Kunz durch die Panzertüren mit in die große Halle mit den Hebebühnen nimmt, wo 130 Jahre Automobilgeschichte aufgebockt werden.
In Hochregalen so schmucklos wie in der Modelhalle von Ikea sind sicher und säuberlich die Flügeltürer und Roadster der letzten Jahrzehnte gestapelt. Es parken dort auf zwei Etagen 600er und 300er, Limousinen jeder Ära und immer wieder Cabrios, wie sie die Amerikaner lieben. Manche Autos sind auf Hochglanz poliert, manche tragen eine feine Staubschicht und mit am schlimmsten sieht der beige Flügeltürer aus, den ein Kunde vor ein paar Monaten tatsächlich in einer Scheune gefunden hat. Schon jetzt ist das Auto viele hunderttausend Dollar wert, sagt Kunz. Und wenn es in zwei, drei Jahren komplett restauriert ist, wird man selbst mit einer Million nicht weit kommen.
Mercedes-Modelle sind zuverlässiger
Erst einmal muss allerdings der 190 SL von Aaron Weiss fertiggemacht werden. Der Immobilienunternehmer sammelt eigentlich amerikanische Sechzehn-Zylinder, mit denen er schon mehr als ein halbes Dutzend Klassensiege in Pebble Beach errungen hat. Aber neuerdings ist er auf den Geschmack der Nachkriegs-Modelle von Mercedes gekommen und so zum Stammkunden in Irvine geworden: "Die sind einfach zuverlässiger, wenn man sie gelegentlich mal aus der Garage holt", hat Weiss gelernt.
Der Mittsechziger ist ein guter Kunde, aber kein einfacher. Weiss ist bei der Restaurierung seiner Autos so penibel, dass er sogar die Farbkleckse setzen lässt, mit denen die Werker in Sindelfingen damals, als der 190er vom Band gerollt ist, bei der Endabnahme ihre Kontrollstellen markiert haben. Dass so eine Restaurierung dann schnell mal ein paar hunderttausend Dollar kostet, ist dem Millionär egal.
Wenn Namen wie Aaron Weiss fallen, stöhnen Männer wie Nate Lander und strahlen zugleich. Lander ist einer von rund einem Dutzend Mechaniker in Irvine und hat seinen Job in Deutschland gelernt. Einerseits musste er für Kunden wie Weiss schon so manche Überstunde schieben. Doch andererseits wissen derart pedantische Sammler die Fähigkeiten der Stuttgarter Spezialisten auch zu schätzen. Und sie finanziert den vor rund zehn Jahren eröffneten Außenposten an der amerikanischen Westküste. Denn Männer wie Weiss sind es, weshalb Mercedes sein einziges ausländisches Classic Center jenseits der Zentrale in Fellbach genau hier eröffnet hat.
Einzigartiges Angebot
Zwar gibt es in Europa bei fast jeder etwas prominenteren Marke mittlerweile eine Abteilung, die sich um das edle Altmetall der Kundschaft kümmert. Doch in Amerika ist Mercedes das einzige Unternehmen mit so einem Angebot. "Für die US-Hersteller waren ihre Klassiker meist nur historischer Ballast und die anderen Importeure haben das Geschäft kampflos an private Spezialisten abgegeben", sagt Kunz. Viel mehr als eine Reparaturanleitung, ein fotokopierter Prospekt oder eine Farbtafel sind deshalb aus Detroit kaum zu bekommen, klagt Weiss über den Service für seine historischen Cadillacs.
Nur eine Fahrstunde von Hollywood und einen knappen Tag vom Silicon Valley entfernt, zählen zu Kunz’ Kunden natürlich viele Computermillionäre und Showstars. Talkmaster Jay Leno ist Stammgast im Classic Center, Clint Eastwood ruft immer mal wieder wegen seines 6.9ers an, und für Patrick Dempsey haben die Mechaniker schon mal einen Rallyewagen aufgebaut. "Aber es ist nicht nur die lokale Prominenz, die wir betreuen", sagt Kunz. "Die Kunden kommen aus dem ganzen Land und allen Bevölkerungsschichten". Neben millionenschweren Kompressor-Rennwagen aus der Vorkriegszeit oder den legendären Flügeltürern stehen deshalb in Irvine auch viele SL der Baureihe R107 oder 116er S-Klassen im Hof oder auf den Hebebühnen.
Ausgerüstet sind die Mechaniker in Irvine für das volle Programm: Sie erledigen Karosseriearbeiten, können lackieren, Motoren prüfen, Metallteile nachbauen und Schreinern oder Sattlern. "Doch komplette Restaurierungen sind bei uns eher selten", sagt Lander. Vielmehr lassen die allermeisten Kunden ihren Wagen hier fast so warten, wie einen neuen Mercedes in einer normalen Werkstatt. "Sie wollen einfach sicher sein, dass alles funktioniert und sie damit im Alltag möglichst wenig Probleme haben," erläutert der Mechaniker: "Denn die meisten fahren ihre Autos Tag für Tag." Das gilt laut Landers nicht nur für die Autos aus den Jahren 1955 bis 1971, die das Gros der Flotte stellen. "Wir haben zum Beispiel auch einen Kunden mit einem Benz von 1890, der ihn regelmäßig nutzt."
Werkstatt und Ersatzteileversorgung
Die Werkstatt ist für Hausherr Kunz allerdings nur ein Standbein. Das zweite ist die Ersatzteilversorgung, die rund die Hälfte des Umsatzes ausmacht. "Etwa 40.000 verschiedene Teile sind in Irvine immer auf Lager, alles andere wird in Deutschland bestellt," erläutert Mechaniker Nate Lander. Weil Mercedes die Motorhaube einer neuen S-Klasse logistisch gleich behandelt wie das Scheinwerferglas eines alten SL, sind auch die Klassikteile in 48 Stunden in Amerika, sagt er stolz. "Nur große Karosserieteile oder Gefahrgut mit Flugverbot dauert länger." Von dieser Logistik profitieren nicht nur die Amerikaner. Weil die Zeitverschiebung günstiger ist und sie besser englisch sprechen als Deutsch, rufen auch viele japanische Mercedes-Sammler lieber in Irvine als im Stammhaus in Fellbach an.
Mag schon sein, dass es repräsentativere Adressen im Großraum Los Angeles gibt, als die Ecke Whatney Street/Rockfield Boulevard. Doch den Platz haben die Schwaben mit Bedacht gewählt: "Die meisten Oldtimer der USA sind in San Diego registriert. Auf Platz zwei liegt Los Angeles. Und mitten drin sind wir", sagt Mike Kunz und zitiert noch eine andere Statistik: "Dreiviertel aller in den USA verkauften Mercedes sind noch im Einsatz, und in den amerikanischen Oldtimer-Registern stehen mehr als 500.000 klassische Mercedes-Fahrzeuge." Langweilig wird es den zwei Dutzend Mercedes-Männern in Irvine deshalb so schnell sicher nicht. Und solang drinnen die Sterne heller leuchten als in Hollywood, wird sich an der schmucklosen Adresse wohl auch niemand stören.