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Snap-on-Interview: Warum ADAS-Kalibrierung so wichtig ist

06.09.2023 11:00 Uhr | Lesezeit: 5 min
Roger Marti und Joachim Schneeweiss
Roger Marti, Senior Director Product Management (li.) und Joachim Schneeweiss, Leiter Vertrieb, beide Snap-on.
© Foto: Snap-on

Bis 2050 soll es in Europa keine Verkehrstoten mehr geben. Ein wichtiger Hebel sind Fahrerassistenz-Systeme. Die funktionieren aber nur, wenn die Sensoren richtig eingestellt sind, betonen Roger Marti und Joachim Schneeweiss von Snap-on Equipment.

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Kurzfassung

Wenn ein Unfall passiert, fängt die Ursachenforschung an. Bei fehlerhaften Fahrerassistenz-Systemen sollte die Werkstatt beweisen können, dass sie alles richtig nach Herstellervorgaben gemacht hat. Sonst droht Ärger.

asp: Was hat die Strategie "Vision Zero" mit Fahrerassistenz-Systemen zu tun?
Joachim Schneeweiss: Fahrerassistenz-Systeme spielen in der Strategie der EU eine wichtige Rolle. Seit Juli 2022 sind bestimmte Fahrerassistenz-Systeme verpflichtend für neue Fahrzeugtypen in den EU-Mitgliedstaaten. Eine Ausstattungspflicht für alle neu zugelassenen Fahrzeuge folgt im Jahr 2024. Die korrekte Einstellung und Kalibrierung der Sensoren und Kamers ist Voraussetzung dafür, dass diese Systeme verlässlich funktionieren.

asp: Als Autofahrer gehe ich davon aus, dass Kameras und Sensoren korrekt kalibriert werden ...
J. Schneeweiss: Deshalb sollte die Kalibrierung immer nach Herstellervorgaben erfolgen - das ist die Theorie. Ich gehe davon aus, dass in der Praxis eben nicht immer nach Herstellervorgaben gearbeitet wird, sei es, weil die Werkstatt diese nicht kennt oder weil das Werkstattequipment nicht entsprechend ausgelegt ist. Manchmal geht es sicher auch um Zeitersparnis.

Roger Marti: Die Mitarbeiter in der Werkstatt verlassen sich hier stark auf das Equipment. Es ist ja gar nicht möglich, alle Herstellervorgaben in einem Multimarkenbetrieb zu kennen - jeder Hersteller verlangt ein anderes Prozedere für Kameras und Sensoren. Oft wird die Kalibrierung auch an Dritte ausgelagert, dann hat die Werkstatt keinen Einfluss darauf.

asp: Snap-on wirbt damit, dass Geräte wie das Tru-Point streng nach OE-Vorgaben arbeiten.
J. Schneeweiss: Das macht aber nicht jeder Hersteller so konsequent. Bei unserem System kann der Mitarbeiter keine Abkürzungen nehmen, der nächste Schritt kann erst durchgeführt werden, wenn alle Einzelschritte nach OE-Vorgaben erfolgt sind.

R. Marti: Und ganz wichtig: Alle Schritte werden dokumentiert, so kann die Werkstatt jederzeit nachweisen, dass nach Herstellervorgaben gearbeitet wurde. Heute behelfen sich viele Mitarbeiter mit Fotos, um zumindest irgendwas in Händen zu haben. Das ist natürlich keine rechtssichere Dokumentation, aber besser als nichts.

asp: Gibt es denn keine Vorschriften, dass nach OE-Vorgaben kalibriert werden muss?
J. Schneeweiss: Wir sehen an der Stelle Regelungsbedarf. Die Diskussion über Verantwortlichkeiten bei der Kalibrierung von Fahrerassistenz-Systemen sollte frühzeitig geführt werden, denn es kommen immer mehr Fahrzeuge mit solchen Systemen auf die Straße. Die EU schreibt das ab 2024 für neu zugelassene Fahrzeuge sogar vor.

R. Marti: Wenn aufgrund falsch eingestellter Systeme etwas passiert, fängt die Ursachenforschung an. Der Autofahrer verlässt sich stark auf Systeme wie Abstandshalter, Notbremsassistent oder Spurhalteassistent. Wenn das Auto das Werk verlässt, hat der Hersteller dafür Sorge zu tragen, dass die Systeme funktionieren. Aber es muss ja dauerhaft gewährleistet sein, dass die Fahrerassistenz-Systeme zu 100 Prozent verlässlich arbeiten. Und hier sind einerseits die Werkstätten gefragt und andererseits ist das auch ein Thema für die Prüforganisationen.

asp: Es findet keine Funktionsprüfung der Assistenzsysteme im Rahmen der HU statt.
R. Marti: Das Thema wird aber heiß diskutiert. Die Prüfdienstleister haben hier noch keinen Prüfauftrag. Man hat aber das Thema erkannt und ist sich dessen bewusst, dass das Thema auf den Tisch muss. Es ist die ureigene Aufgabe der Prüforganisationen, die Betriebssicherheit der Fahrzeuge sicherzustellen. Je mehr in den Fahrzeugen automatisiert wird, desto stärker rückt das Thema in den Mittelpunkt.

asp: Was wäre denn, wenn ein Fahrerassistenz-System versagt?
R. Marti: Grundlegende Assistenzsysteme wie der Notfallbremsassistent müssen jederzeit funktionieren. Wenn es zu einem Versagen käme, würde sofort gefragt, wer Schuld daran hat. Und die erste Frage lautet dann: Wer hat daran rumgeschraubt? Über das Auslesen der Steuergeräte und deren Historie kann man heute alles nachvollziehen. Deshalb ist auch die Frage der Zugänge so wichtig: Wer sollte künftig eigentlich noch Zugang zu den Systemen haben? Damit kommt die Werkstatt, die an Fahrerassistenz-Systemen arbeitet oder Kameras und Sensoren kalibriert, automatisch in den Blickpunkt.

J. Schneeweis: Deshalb ist es zunehmend wichtig, dass Werkstätten über eine saubere Dokumentation aller Arbeitsschritte verfügen. Auf diese Thematik wollen wir das Augenmerk richten und wir wollen Aufklärung leisten. Das Werkstattequipment spielt eine entscheidende Rolle.

asp: Wie kann man sicherstellen, dass OE-Vorgaben eingehalten werden?
R. Marti: Beispiel Spurwechselassistent. Hier schauen die Kameras und Sensoren in den toten Winkel hinein und warnen den Fahrer, wenn sich ein Auto oder Fahrradfahrer nähert. Das System unterstützt beim Spurwechsel auf Autobahnen und Straßen. Aktive Spurwechselassistenten können sogar selbstständig die Fahrbahn wechseln oder bei Gefahr abbremsen. Wenn ich als Werkstatt die Kamera falsch einstelle, dann kann das fatale Folgen haben. Angenommen, der Teppich mit dem Kalibriermuster liegt bei der Kalibrierung der Kamera einen Meter zu weit weg. Dann guckt die Kamera einen Meter weiter, als sie soll. Wir dokumentieren, dass die Matte tatsächlich dort gelegen hat, wo der Fahrzeughersteller sie haben will. Das System erkennt eigenständig, ob der Teppich bei der Kalibrierung korrekt liegt.

J. Schneeweiss: Bei der statischen Kalibrierung in der Werkstatt muss das Auto nicht auf der Straße bewegt werden, aber sie setzt dafür voraus, dass die statische Situation perfekt sein muss. Unser System Tru-Point kennt Herstellervorgaben und erfasst die exakte Position des Fahrzeugs und relativ dazu die Position der Targets. Beides wird dokumentiert, sodass die Werkstatt immer den Nachweis der herstellerkonformen Kalibrierung erbringen kann. Das geht so weit, dass das Gerät den Messvorgang abbricht, wenn zum Beispiel die Matte versehentlich verschoben wird. Der Prozess geht dann erst weiter, wenn der Fehler korrigiert wurde.

asp: Und diese Sicherheit erfüllen derzeit nicht alle Systeme am Markt?
J. Schneeweiss: Wir sehen bisher kein System am Markt, das alle Schritte abdeckt, es wird sehr viel Innovation verkauft, aber letztlich halten sich viele Anbieter nicht zu einhundert Prozent an die OE-Vorgaben. Es ist mit etwas Geschick immer möglich, "Abkürzungen" zu nehmen, was erfahrungsgemäß dann aus Zeitmangel auch gemacht wird. Wir sagen: Der Prozess muss so weit automatisiert sein, dass er allen Vorgaben entspricht und trotzdem schnell ablaufen kann.

R. Marti: Es gibt in den Fahrzeugen so viele verschiedene Sensoren von unterschiedlichen Zulieferern und die Herstellervorgaben für die Kalibrierung unterscheiden sich voneinander - es ist für einen Mechaniker unmöglich, das alles zu kennen. Hier ist eine geräteseitige Unterstützung dringend geboten. Sonst müsste man ja vor der Kalibrierung bei jedem Fahrzeug erst mal recherchieren, was kaum machbar ist und bei den Stundenverrechnungssätzen auch keinem zumutbar wäre.

asp: Wie könnte eine Regelung aussehen?
J. Schneeweiss: Die Kalibrierung von Fahrerassistenz-Systemen wird sicher noch geregelt werden müssen, vor allem wenn das automatisierte Fahren noch stärker ausgebaut werden soll. Spätestens wenn Level 3 und Level 4 realisiert werden, müssen diese Systeme überwacht werden. Dazu wird es einen regulatorischen Rahmen geben, der wichtige Fragen klären muss, beispielsweise, wer diese Autos überhaupt reparieren und kalibrieren darf und wie eine Manipulation durch Dritte verhindert werden kann.


Vision Zero

Die EU-Kommission strebt mit der Strategie der Vision Zero an, die Zahl der Verkehrstoten in Europa bis zum Jahr 2050 auf null zu reduzieren. Mit der Valletta-Erklärung von 2017 hat der Europäische Rat zudem den Vorsatz gefasst, die Zahl der Schwerverletzten auf den Straßen der EU bis 2030 (im Vergleich zu 2020) zu halbieren.
Fahrerassistenz-Systeme spielen in der Strategie der EU eine wichtige Rolle. Seit Juli 2022 sind bestimmte Fahrerassistenz-Systeme verpflichtend für neue Fahrzeugtypen in den EU-Mitgliedstaaten. Eine Ausstattungspflicht für alle neu zugelassenen Fahrzeuge folgt im Jahr 2024. Vorgeschrieben werden Systeme wie Notbrems-, Abbiege-, Spurhalte- oder Rückfahrassistenten. Diese Systeme tragen dazu bei, zukünftig zahlreiche oft tödlich verlaufende Unfälle, wie etwa Lkw-Auffahr- oder -Rechtsabbiegeunfälle mit Fußgängern und Radfahrenden, zu verhindern. In den kommenden Jahren folgen dann weitere hoch entwickelte Fahrerassistenz-Systeme, wie die Notbremsassistenten zum Schutz von Fußgängern (2024) oder der Unfalldatenspeicher für Lkw und Busse (2026). Die korrekte Einstellung und Kalibrierung der Sensoren und Kameras ist Voraussetzung dafür, dass diese Systeme dauerhaft funktionieren.


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