Nach dem umsatz- und renditestarken Autojahr 2022 geht das Kfz-Gewerbe in Baden-Württemberg wieder schwierigeren Zeiten entgegen. "Wir haben seit über einem halben Jahr einen drastisch sinkenden Auftragseingang. Der Markt wird voraussichtlich Ende 2023 kippen", sagte Landesverbandspräsident Michael Ziegler am Donnerstag in Stuttgart. Die aktuelle und kommende Situation beschrieb er als einen "Ritt auf der Rasierklinge".
2022 hatten die Kfz-Betriebe im Südwesten noch gute Geschäfte gemacht. Wie auf Bundesebene stieg der Umsatz im Mobilitätsmarkt wegen höherer Preise für Neu- und Gebrauchtwagen deutlich. Laut Verbandssprecherin Birgit Leicht legten die Gesamterlöse um fast 2,8 Milliarden auf 35,4 Milliarden Euro zulegten. Der Anteil des Kfz-Gewerbes stieg allerdings unterproportional um 3,8 Prozent auf gut 25,4 Milliarden Euro. Positiv: In den Werkstätten wurden 3,8 Milliarden Euro erwirtschaftet (plus 10,8 Prozent).
Mit der erzielten Umsatzrendite 2022 von 3,3 Prozent zeigte Ziegler sich zufrieden. "Wir bewegen uns erstmals in einer Größenordnung, die wir bisher immer nur als Zielgröße kannten." Gleichzeitig verwies er darauf, dass manche Autohersteller das Fünffache einfahren würden.
Bei seinem Blick nach vorn zeichnete Ziegler das Bild einer Branche im Umbruch. Für die Kunden stehe ihre bezahlbare individuelle Mobilität auf dem Spiel, beschrieb er die Folgen der "Neuaufteilung" des Automarkts. Einerseits seien da die etablierten Hersteller, die über Agentursysteme nach höheren Renditen zu Lasten der Autohäuser und Kunden strebten. Anderseits stünden chinesische Hersteller bereit, um "in die sich auftuenden Lücken zu stoßen".
Besonders kritisch sieht Ziegler, dass die Autobauer beim Neuwagenverkauf verstärkt als direkte Konkurrenz zum Handel auftreten würden. "Durch die Online-Affinität der Kunden versuchen die Hersteller immer stärker, Wertschöpfung aus dem Handel abzuziehen." Rund 142.000 Neuwagen oder knapp 39 Prozent der 2022 in Baden-Württemberg ausgelieferten Autos seien direkt über die Vertriebskanäle der Hersteller gelaufen.
Agenturvertrieb: Angriff auf die Wurzeln des Autohandels
"Mit Agentursystemen greifen die Hersteller die Wurzeln des Autohandels an", brachte der Branchenvertreter das zweite Problem auf den Punkt. Ohne faire Vergütungen würden sie dadurch den Handel gefährden. Das gelte sowohl für den Neuwagen- als auch den Gebrauchtwagenbereich. Gerade das GW-Geschäft sei für die Erträge und die Wirtschaftlichkeit der Autohäuser von zentraler Bedeutung. Ziegler unterstrich: "Die Hersteller sind gar nicht dafür aufgestellt, dieses kleinteilige Retail-Geschäft zu übernehmen. Wenn sie es dennoch versuchen, werden sie scheitern, aber den Schaden haben wir alle."
Aus seiner Sicht ist der Systemstreit zwischen Agenturmodell und klassischem Vertragshandel aber noch nicht entschieden. Ziegler sieht hier Chancen für neue chinesische Anbieter im Volumensegment: "Wenn deutsche Hersteller in dieser für sie aktuell komfortablen Lage ihrer ausländischen Konkurrenz Tür und Tor öffnen, werden wir als Kfz-Gewerbe darauf reagieren. Wir brauchen im preissensiblen Bereich genügend Angebote." So würden aktuell insbesondere E-Autos im Segment zwischen 20.000 und 30.000 Euro fehlen.
Mittel-Kürzung bei Berufsschulen und Bildungseinrichtungen des Handwerks "falsches Signal"
Kritik übte der Verband auch an der baden-württembergischen Landesregierung: "Mit der Kürzung der Mittel für die Berufsschulen und die Bildungsstätten des Handwerkes setzt die Landesregierung im aktuellen Haushalt ein vollkommen falsches Signal", führte Sprecherin Leicht aus. Die Kfz-Betriebe und deren Auszubildende und Beschäftigte bräuchten "in der Transformation bessere Bildungsangebote, nicht eine Verschlechterung".
Abschließend erklärte Ziegler: "Wer Menschen Mobilität aufzwingen will, die diese nicht wollen, wird scheitern." Alle Zahlen belegten, dass das Auto die unangefochtene Nummer eins sei, wenn es gelte, die Mobilitätswünsche der Menschen umzusetzen. Deswegen sei es ernst zu nehmen, "wenn sich die Menschen inzwischen sorgen, sich kein Auto mehr leisten zu können". Menschen in niedrigeren Einkommensklassen dürften von bezahlbarer individueller Mobilität nicht ausgeschlossen werden.