Kurzfassung
Ab 2024 plant Michelin die Großserienfertigung von Reifen mit recyceltem Polyester aus Plastikflaschen. Im Interview verrieten uns Michael Ewert und Cyrille Roget, welche nachhaltigen Materialien noch im Reifen möglich sind.
asp: Michelin möchte recycelten Kunststoff aus PET-Flaschen für die Reifenherstellung verwenden. Wie kam es zu dieser Idee?
Michael Ewert: Michelin lebt Nachhaltigkeit in seiner Unternehmensphilosophie, spätestens ab 2050 wollen wir komplett CO2-neutral sein. Um das voranzutreiben, wollen wir Bestandteile des Reifens ersetzen, die nicht nachhaltig sind. So sind wir auf PET-Flaschen gekommen. Wir haben ein Verfahren entwickelt, um das Polyester aus den Flaschen wiederzugewinnen, um es in der Karkasse des Reifens zu verwenden.
Cyrille Roget: Bei Michelin verbrauchen wir rund 3,6 Millionen Tonnen Material zur Reifenherstellung jedes Jahr. Das meiste davon basiert auf Rohöl und wir suchen nach Lösungen, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und mehr recycelte Materialien zu verwenden.
asp: Wie funktioniert PET-Recycling?
M. Ewert: Zuerst werden die Flaschen granuliert, gereinigt, dann analysiert und in einem chemischen Verfahren zerlegt. Anschließend werden die Bestandteile wieder zu Polyesterfäden synthetisiert. Von den technischen Eigenschaften her ist das recycelte Material ebenso gut wie das Material, das wir von der chemischen Industrie einkaufen.
C. Roget: Wir arbeiten mit einem kleinen Unternehmen in Frankreich zusammen, das aus den PET-Flaschen Monomere erzeugen kann, aus denen sich anschließend wieder so viel Polyester wie nötig erstellen lässt. Hier gibt es kein Limit. 100 Prozent lassen sich recyceln, das ist ein perfekter
Kreislauf. Die Farbe der PET-Flasche spielt dabei ebenfalls keine Rolle.
asp: In welchen Reifen soll recyceltes Polyester zum Einsatz kommen?
M. Ewert: Ziel ist es, das Verfahren langfristig in allen Michelin-Reifen zu nutzen und den Zukauf von Polyester zu ersetzen. Dafür müssen wir aber auch erst mal die nötigen Kapazitäten aufbauen. Wir sind gerade im Prototypen-Stadium, die Großserienfertigung ist für 2024 geplant.
asp: Ist das Recycling nicht auch sehr energieintensiv?
M. Ewert: Das Verfahren zur Polyestergewinnung ist natürlich auch energieintensiv und muss mit erneuerbaren Energien geschehen, sonst ist das Ganze natürlich nicht sinnvoll.
asp: Wie hoch ist der Anteil recycelter Materialien momentan bei Michelin-Reifen?
M. Ewert: Bei einigen Reifenmodellen sind wir schon bei 40 Prozent. Das wird nach und nach ausgebaut. Bis 2050 soll der Anteil bei 100 Prozent liegen. Die Reifen werden dann sowohl aus recycelten synthetischen Anteilen als auch nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Wir arbeiten beispielsweise mit dem Unternehmen Enviro zusammen, das Altreifen schreddert und daraus Ruß und Öl gewinnen kann, die wiederum in der Reifenproduktion zum Einsatz kommen.
asp: Welche nachwachsenden Rohstoffe können für Reifen verwendet werden?
C. Roget: Es gibt zum Beispiel Additive auf Erdölbasis, die wir durch Sonnenblumenöl ersetzen können. Die werden genutzt, um die Reifenmischung weicher zu machen. Auch Orangenschalen eignen sich als Füllmaterial für die Reifenherstellung. Das Schöne daran: Orangenschalen sind keine Konkurrenz zur Lebensmittelindustrie, weil wir nur die Schalen, also den Abfall, verwenden. In unserem Protoypen eines Motorsportreifens sind Orangenschalen bereits enthalten, der Reifen besteht zu 46 Prozent aus nachhaltigen Materialien.
asp: Soll künftig auch der Anteil an natürlichem Kautschuk minimiert werden?
C. Roget: Naturkautschuk wird weiterhin in den Reifen eine Rolle spielen. Je nach Anwendung haben Autoreifen bis 15 Prozent Naturkautschuk, bei Flugzeugreifen sind es sogar 50 Prozent. Naturkautschuk wird also immer noch benötigt, aber nicht mehr so viel wie früher. Wir sind aber zuversichtlich, die Herstellung von synthetischem Kautschuk voranzubringen. Ein Bestandteil des synthetischen Kautschuks ist Polystyrol, was unter anderem in Joghurtbechern und Verpackungen enthalten ist und sich nach heutigem Stand noch nicht recyceln lässt. Das wollen wir ändern. Wir haben zudem einen Prozess entwickelt, ein Elastomer aus Holzspänen, also aus Abfällen der Holzindustrie, zu gewinnen.
asp: Nachhaltigkeit bedeutet auch, weniger Reifen herzustellen und stattdessen mehr runderneuerte Reifen zu verkaufen.
C. Roget: Runderneuerung funktioniert nach unseren Erfahrungen im Pkw-Bereich nicht. Wir arbeiten aber an einer Technologie, um den Reifen mit einer zusätzlichen Elastomerschicht zu versehen, beispielsweise für den Winter. Das ließe sich beispielsweise in der Werkstatt per 3D-Druck auftragen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!