Von Mario Hommen/SP-X
Auch für Motorräder werden sich die gesetzlichen Anforderungen in puncto Sicherheit und Abgasverhalten weiter verschärfen. Gibt es also in einigen Jahren nur noch elektrisch getriebene und autonom fahrende Zweiräder? Ganz so wird es wohl nicht kommen, ist man sich bei Bosch sicher. Der Zulieferer ist optimistisch, dass Motorräder mit Verbrennungsmotoren auch die Euro-5-Normen erfüllen werden. Und autonome Fahrkünste werden wohl auf lange Sicht nicht auf Einspurfahrzeuge übertragbar sein. Dennoch soll das Motorrad der Zukunft deutlich vernetzter und sicherer werden. Verschiedene Szenarien – einige konkret, andere noch vage – hat Bosch jetzt vorgestellt.
Ein wichtiges Innovationsfeld der Mobilität ist die Vernetzung. Auch Motorräder werden hiervon profitieren. Speziell für Zweiräder hat Bosch mit dem sogenannten "Integrated Connectivity Cluster" eine auf Konnektivitätslösungen abgestimmte Anzeige- und Bedienbasis zur Serienreife entwickelt. Es handelt sich um eine große, frei programmierbare, gut geschützte und entspiegelte Digitalanzeige. Diese Display-Lösung – über die bislang ausschließlich die neue KTM 1290 Adventure serienmäßig verfügt - erlaubt schon heute die intelligente Einbindung von Smartphones. Neben einer Halterung für das Telefon mit Ladefunktion lässt sich der mobile Minicomputer per Bluetooth auch mit dem IC-Cluster verbinden. Das erlaubt es dem Fahrer, einige Smartphone-Funktionen über Tasten am Lenkrad zu steuern. Einfach und legal kann der Biker so während der Fahrt mit dem linken Daumen zum Beispiel Musiktitel vom Handy abspielen oder auch Anrufe entgegennehmen. Allerdings muss er ein Headset tragen. KTM hat eine solche Lösung integriert im Helm im Angebot, die praktisch gut funktioniert.
Im nächsten Schritt will Bosch auch die Darstellung und Nutzung von Smartphone-Apps über das ICC erlauben. MySpin heißt die kommende Ausbaustufe, die zusätzlich die Darstellung von Smartphone-Inhalten auf dem Display erlaubt. Über die Software lassen sich dann Apps nutzen, die einen definierten Anforderungskatalog erfüllen. Ein wichtiges Kriterium: Die Programme dürfen den Fahrer nicht zu sehr ablenken. Ende 2017 wird ein erster Motorradhersteller die MySpin-Technik anbieten. Dann können Biker zum Beispiel eine Wetter-, eine Internetradio- oder eine speziell für Motorradtouren optimierte Navigations-App nutzen. Über letztere kann sich der Fahrer dann auch Routeninformationen wie Neigungswinkel oder empfohlene Kurvengeschwindigkeiten anzeigen oder sogar als Warnung akustisch übers Helm-Headset ansagen lassen. Und sollte der Spritvorrat zur Neige gehen, zeigt die Navi-App automatisch Tankstellen in der Nähe.
Bei Bosch geht man davon aus, dass 2025 rund 70 Prozent aller neuen Motorräder vernetzt sein werden. Durch die wachsende Zahl von Fahrzeugen mit Internetanbindung werden auch neue, cloudbasierte Funktionen kommen. So will Bosch über den sogenannten "Connected Horizon" mit Hilfe cloudbasierter Echtzeitinformationen künftig auch Motorradfahrer vor plötzlichen Gefahrenstellen warnen. Registrieren zum Beispiel die Sensoren eines Pkw hinter einer Kurve eine Fahrbahnvereisung, wird diese Information automatisch in einer Datenbank hinterlegt. Nähert sich ein Motorradfahrer dieser Kurve, wird er vor der rutschigen Stelle gewarnt.
Gegensetiges Warnen
Darüber hinaus sollen Fahrzeuge in naher Zukunft direkt miteinander kommunizieren, was auch das Motorradfahren sicherer machen soll. So arbeitet Bosch zusammen mit den Entwicklungspartnern Autotalks (Hardware) und Cohda Wireless (Software) an einer Bike-to-Vehicle-Communication. Um untereinander zu kommunizieren, müssen Fahrzeuge über eine Sende-Empfangs-Einheit und entsprechende Rechnerkapazitäten verfügen. Diese Technik wurde bereits standardisiert und erlaubt den Informationsaustausch über eine spezielle und geschützte WLAN-Frequenz. Die hierüber kommunizierenden Fahrzeuge können sich dann gegenseitig warnen. Zu Demonstrationszwecken hat Bosch einen VW Bus und eine Ducati Multistrada mit der Kommunikationstechnik ausgestattet und einige Szenarien des „digitalen Schutzschilds“ aufgezeigt. Beispiel Kreuzung: Befinden sich Pkw und Motorrad hier auf Kollisionskurs, werden beide Verkehrsteilnehmer über die Funkkommunikation voreinander gewarnt. Ebenfalls gewarnt wird der Autofahrer, wenn sich das Motorrad neben oder hinter ihm befindet, zum Beispiel im Toten Winkel. Damit die Kommunikation auch praktisch funktioniert, müssen Fahrzeuge allerdings über die standardisierte Kommunikationstechnik verfügen. Schon 2019 soll es losgehen, dann wird VW den Golf mit entsprechender Technik serienmäßig ausstatten. Bis es zu einer Marktdurchdringung kommt, werden aber noch einige Jahre vergehen. Wohl erst in den nächsten fünf Jahren werden erste Motorradhersteller ebenfalls Modelle mit Bike-to-Vehicle-Communication in den Markt bringen.
Auch die elektronischen Helferlein an Motorrädern bieten noch Innovationspotenzial. Seit einigen Jahren ist in einigen Modellen die Motorrad-Stabilitätskontrolle MSC verfügbar, die bei Kurvenfahrten für mehr Sicherheit sorgt. Auf Basis der jüngsten Motorrad-ABS-Generation hat Bosch zudem eine Berganfahr- und -haltehilfe entwickelt, die ebenfalls schon in einigen Modellen zum Einsatz kommt. Auf Basis der modernen Sensortechnik lässt sich die für Pkw ab April 2018 verpflichtende eCall-Technik auch auf Motorräder übertragen. Bosch hat hier Algorithmen entwickelt, dank derer die Sensoren erkennen, ob ein Motorrad einen Unfall hatte. Kommt es zum Crash, wird automatisch ein Notruf ausgelöst, der einer Notrufzentrale den genauen Unfallort übermittelt.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob Motorradfahrer die massive Aufrüstung mit elektronischen Helfern und Kommunikationstechnik überhaupt wollen? Bei Bosch ist man jedenfalls zuversichtlich, dass Techniken, die einige für Motorradfahrer unbeherrschbare Gefahrensituationen neutralisieren, großen Anklang in der Bikerszene finden werden.