Von Michael Gebhardt/SP-X
Qualität war sein Steckenpferd, und seine Versessenheit auf akkurate Spaltmaße brachte dem damaligen Audi- und späteren VW-Chef Ferdinand Piëch nicht umsonst den Spitznamen Fugen-Ferdl ein. Eine Schieblehre allein reicht mittlerweile aber schon lange nicht mehr aus, um Premium-Qualität sicher zu stellen – auch hier hält die Digitalisierung Einzug. Und sie stellt die Forscher vor so manches Problem.
Welche Möglichkeiten die Digitalisierung bei der Qualitätssicherung bietet, wird unter anderem in der Fahrzeugabstimmung sichtbar. Waren Audis Ingenieure früher mit langen Listen und Klemmbrett in heißen Wüsten, auf zugefrorenen Seen und hohen Gipfeln unterwegs, so gehen sie heute mit einem handlichen Tablet auf Erprobungstour. Der digitale Assistent hält alle möglichen Testszenarien und -routen bereit, kommuniziert per W-Lan mit dem Wagen und schreibt alle wichtigen Fahrzeugdaten mit – und funkt alles in Echtzeit nach Ingolstadt. Dort können die Experten am Rechner die Daten direkt auswerten und auf Fehler viel schneller reagieren.
Apropos Daten: Sammelte der in den Entwicklungsfahrzeugen montierte Fahrtenschreiber im Audi A3 vor sechs Jahren noch rund acht Gigabyte pro Test-Schicht, waren es beim jüngsten A4 bereits zehn GB und beim aktuellen A8 häufen sich in einem Testlauf gut und gerne 50 Gigabyte an Daten. Schließlich will jedes der mehr als 40 Assistenzsysteme zu Wort kommen. Eine Menge, der schlichtweg mit Papier und Bleistift kaum mehr Herr zu werden wäre.
Digitale Diagnose-Systeme
Um Daten, beziehungsweise die Erkenntnisse daraus, geht es auch beim technischen Service, also in den Werkstätten. Hier hilft die Digitalisierung zum Beispiel beim Aufspüren von Geräuschquellen. Niemand weiß so genau, was der Kunde meint, wenn er sagt: "Da hinten links jault was". Mit einem neuen Diagnose-System lässt sich der Fehler nun wissenschaftlich aufspüren, in dem mehrere kleine Mikrofone und Beschleunigungssensoren an unterschiedlichen Stellen angebracht werden, die während der Fahrt Schall und Vibrationen aufzeichnen. Vor allem im Vergleich zu einer Referenzmessung mit einem einwandfreien Auto kann die Störquelle oft schnell identifiziert werden. Und kommt der Mechaniker in der Werkstatt nicht weiter, helfen die Experten in Ingolstadt aus: Per Knopfdruck können Sie die Daten einsehen und bei der Lösungssuche unterstützen.
Ein weiterer Helfer, der den Werkstätten die Arbeit erleichtern soll, ist CarAssyst. Der Adapter in der Datenbuchse und eine App auf dem Smartphone reichen aus, um die bis zu 12.000 Informationen, die die Fahrzeugsteuergeräte verarbeiten, abzugreifen und auszuwerten. Während einer Probefahrt werden Autodaten, aber auch die GPS-Position und sogar ein Kamerabild aufgezeichnet, und direkt auf dem Handy-Display ausgegeben. Doch damit nicht genug: Die Verantwortlichen bei Audi träumen davon, die benötigten Diagnosegeräte noch kleiner zu machen – und irgendwann ganz verschwinden zu lassen. Im Idealfall findet die gesamte Fehleranalyse im Auto statt. Dazu sollen möglichst viele schon vorhandene Sensoren genutzt werden: Die in den Sitzgurt integrierten Mikrofone etwa eigenen sich hervorragend, um Störgeräusche zu erkennen. Außerdem wollen die Fehler-Detektive künftig noch viele weitere Daten in ihre Auswertungen einfließen lassen, zum Beispiel das Wetter oder den Straßenzustand. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kontinuierlicher Austausch des Autos mit seiner Umwelt.
Qualitätssicherung Fehlersuche
BildergalerieKameras entdecken Schwachstellen
Unzählige Daten werden auch am digitalen Meisterbock gesammelt. Haben die Prüfer hier früher lediglich mit genormten Schablonen Karosserie und Innenraum vermessen, nutzen sie jetzt beispielsweise auch Kameras, um etwaige Schwachstellen zu entdecken. Das digitale Auge erfasst mit circa 20 Millionen Messpunkten alle Flächen und vergleicht sie mit dem Goldstandard, dem Computer-Modell. Weicht die Karosse oder ein einzelnes Bauteil auch nur den Bruchteil eines Millimeters von der Norm ab, schlägt der Computer Alarm. Der Clou: Die Audi-Experten können mittlerweile sogar schon rein virtuelle Modelle vermessen und noch bevor das erste Blech gepresst ist feststellen, dass die ein oder andere Fuge zu eng ist. Das senkt die Kosten deutlich, da Werkzeuge von vornherein anders gebaut werden können und nachträgliche Änderungen vermieden werden.
Noch früher in der Entwicklung setzen die Werkstoffkundler an. Ihnen bietet die Digitalisierung ebenfalls neue Möglichkeiten, stellt sie aber auch vor neue Herausforderungen. Machte früher in der Planungsphase ein Drehregler Sperenzchen, wurde das Bauteil kurzerhand aufgeschnitten und unter dem Mikroskop durchleuchtet. Würde man das mit dem High-End-Touchdisplay im neuen Audi A8 machen, man sähe nicht viel: Zum einen würde der Schnitt zu viel zerstören, zum anderen sind die einzelnen Bauteile viel zu filigran. Die Rede ist hier von Nanometern! Für die Fehlersuche, beispielsweise wenn nach einem UV-Test stumpfe Flecken auf dem Display auftauchen, kommt High-Tech vom Feinsten zum Einsatz: Statt mit der Säge arbeiten sich die Wissenschaftler – unter Vakuum – mit einer Art Ionen-Strahl-Schaufel langsam in das Innere des Bauteils vor und tragen Schicht für Schicht ab. Das kann schon mal Tage dauern, bis sie ihr Ziel erreichen. Dort angekommen, kommt ein Raster-Elektronen-Mikroskop zum Einsatz: Bei bis zu 100.000-facher Vergrößerung lassen sich die feinsten Fehler erkennen uns selbst minimalste Produktions-Patzer aus der Welt schaffen. Davon konnte Fugen-Ferdl nur träumen.