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WayRay-Holograktor: Fahren jenseits der Realität

30.11.2021 10:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Die Studie Holograktor ist 4,40 Meter lang und fährt elektrisch.
© Foto: WayRay

Das Auto der nicht mehr so fernen Zukunft soll virtuelle Welten zu allen Reisenden bringen; mit seinem "Holograktor" hat ein Entwickler von Augmented-Reality-Anwendungen die neuartige Technik dazu erstmals in einem Concept-Car anschaulich gemacht. Manche Möglichkeiten werden zumindest hierzulande dem Fahrer aber noch lange verwehrt bleiben.

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Wahrscheinlich geht es vielen Menschen so wie dem Verfasser dieser Zeilen: Eine zackige Serpentinenfahrt auf der Rückbank eines vollbesetzten Autos ist ein wahrer Horrortrip. Der Blick geht mal aus dem Seitenfenster, mal auf die Schuhspitzen, mal Richtung Kopfstütze der Vordersitze – und die Gedanken wandern an die Plastiktüte unterm Sitz. In mehr als 120 Jahren Autoentwicklung ist einfach noch niemand etwas Durchschlagendes gegen Reiseübelkeit eingefallen.

Vitaly Ponomarev aber hat ein Heilmittel: den Thron in seinem Holograktor. So heißt das 4,40 Meter lange batteriegetriebene Concept-Car, das der Gründer des Schweizer Unternehmens WayRay an diesem Novembertag präsentiert. Und das königliche Gestühl findet sich dabei leicht erhöht hinter zwei weit auseinanderliegenden Frontsitzen. Freie Sicht auf die Straße und den Horizont – eine Wohltat für den Magen. Aber der Holograktor kann noch wesentlich mehr.

Denn WayRay ist kein klassischer Autozulieferer, sondern ein Soft- und Hardware-Entwickler in Sachen Augmented Reality; also dem Einblenden virtueller Anzeigen auf eine reale Umgebung. Von Head-up-Displays kennen das viele Autobesitzer bereits, mal auf einer schmalen Klappscheibe über dem Lenkrad, mal auf eine Folie im Sichtbereich des Fahrers auf die Frontscheibe projiziert. Mit sich verjüngenden Einblendungen täuschen etwa Navigationspfeile dabei in den neuesten Systemen sogar eine dreidimensionale Perspektive vor, die in zwei bis sieben Metern vor dem Auto auf der Straße schwebt. Für die derzeit größte Abbildung in der Mercedes S-Klasse braucht es dafür rund 20 Liter Platz für die aufwändige Technik.

Zugang zu einer neun Welt

Ponomarev hat im Holograktor eine Klarsicht-Projektionsfläche untergebracht, die bei einem Drittel des benötigten Platzes fast doppelt so groß wie die im Benz ist. Sie klappt im Sichtbereich vor besagtem Thron herunter – und liefert den Zugang zu einer ganz neuen Welt. Denn es wird nicht allein ein Bild auf eine Fläche ausgestrahlt. Mit holografischer Technik können Objekte dreidimensional in beliebiger Distanz rund um das Fahrzeug eingeblendet werden und sich mitbewegen – genau da, wo sie auch in der realen Welt hingehören sollen.  

Das kann der klassische Navigationspfeil sein, aber auch der Hinweis auf Sehenswürdigkeiten am Wegesrand, auf Restaurants oder Shops und sogar auf animierte Spiele. Die Reisenden haben dazu links und rechts vom Sitz eingebaute Joysticks wie bei Xbox oder Nintendo. Damit können sie während der Fahrt die Objekte rund um das Auto steuern. „Aber es wäre etwa auch möglich, ein dreidimensionales Video-Telefonat mit einem Freund auf der Ebene vor dem Fahrzeug zu zeigen – der Beifahrer kann dann wie bei einem richtigen Treffen mit dem weit entfernten Anrufer sprechen“, so Ponomarev.

Möglich wird die neue Form der Kommunikation durch eine beschichtete Spezialfolie, die WayRay hat patentieren lassen. Sie wird vom Leverkusener Scheibenzulieferer Covestro produziert – und erzeugt das holografische Bild, das vom Lichtstrahl eines Lasers nach den Infos aus der Software vorgegeben wird.


WayRay-Holograktor

WayRay-Holograktor Bildergalerie

Auf dem Thron kann der Mitreisende so zum Beispiel virtuell das Fahrzeug mitlenken – gut fürs Bauchgefühl. Oder er spielt ein Game, das fast real in seinem Sichtbereich eingeblendet wird. So etwas ist bisher nur mit klobigen Virtual-Reality-Brillen möglich; dabei allerdings bleibt die reale Umwelt ja draußen. Im Holograktor verschmelzen dagegen künstliche und reale Umgebung so nahtlos miteinander, dass der Mund erst mal offensteht. Der Fahrer gewöhnt sich aber verblüffend schnell daran, dass etwa ein Hund oder Fahrradfahrer 100 Meter voraus mit einem gelben Warnzeichen markiert wird, exakt da, wo er auch geht; oder, dass der Hinweis auf eine günstige Ladestation schon lange vor der Autobahnabfahrt am Horizont angezeigt wird. Der Wagen schlägt dann auf Sprachbefehl selbsttätig den Weg dahin ein.

Der Computer lenkt, der Reisende kommuniziert

Mit solchen und ähnlichen Inhalten wollen die Autohersteller in Zukunft während der Fahrt zusätzliche Einnahmen machen – oder den Reisenden die Langeweile verkürzen. Das gilt schon bald für alle Menschen im Fahrzeug, wenn etwa auf langen Autobahnstrecken dank hochautomatisierter Assistenten niemand mehr ständig den Verkehr im Auge behalten muss. Der Computer lenkt – und der Reisende kommuniziert mit dem Computerbild vor seiner Scheibe. Ein Hochleistungsrechner unter dem Armaturenbrett verarbeitet dazu die Daten von Sensoren, Kameras und Karteninformationen, um die Position des Fahrzeugs präzise zu berechnen und virtuelle Objekte in Echtzeit zu erzeugen.

"Die Technologie ist jetzt verfügbar und bereit für die Massenproduktion", verspricht Ponomarev. Allerdings dürften zunächst wohl nur betuchte Käufer von Luxusfahrzeugen in den Genuss der virtuellen Welten kommen. Das Interesse der Premium-Hersteller aus Europa, den USA und China sei groß, so der Entwickler. Eine weitere Klippe dürfte der Gesetzgeber sein: Denn gerade auf dem Fahrersitz werden einige Anwendungen noch lange verboten bleiben – bis das Lenkrad irgendwann einmal ganz wegfällt. Dann wird das virtuell-reale Reisen wohl längst Normalität sein. Und jedes neue Auto ein Stück Holograktor. 

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