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Steer-by-Wire: Autofahren ohne Lenkrad

20.09.2022 13:00 Uhr | Lesezeit: 4 min
Steer-by-Wire: Autofahren ohne Lenkrad
Steer-by-Wire-Systeme bieten zahlreiche Vorteile im Vergleich zu konventionellen Lenkungen.
© Foto: Bosch

Steer-by-Wire-Lenksysteme, die keine mechanische oder hydraulische Verbindung mehr zwischen dem Lenkrad und den Rädern besitzen, sollen in autonom fahrenden Autos Standard werden. Schon jetzt arbeiten viele Zulieferer an den Systemen.

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Kurzfassung

Steer-by-Wire-Lenksysteme sind der Zukunftsmarkt und werden spätestens bis zum Durchbruch der autonom fahrenden Fahrzeuge zum Standard. Schon jetzt arbeiten zahlreiche Zulieferer an den Systemen.

Wer ein modernes Verkehrsflugzeug besteigt, der hat schon längst mit Steuerungssystemen zu tun, die "by Wire", also per Draht, arbeiten und keine mechanische oder hydraulische Verbindung mehr benötigen. Diese Technik soll nun auch vermehrt in die Autos Einzug halten, sei es in Lenkoder Bremssystemen. Autonom fahrende Autos sollen davon besonders profitieren, da Signale schneller umgsetzt werden können und auch der Bauraum durch den Wegfall von Komponenten schrumpft. Auch die Kosten sollen sich durch die geringere Komplexität reduzieren lassen.

Vorteile beim Einparken

Denn bei einem Steer-by-Wire-System gibt es keine mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und den gelenkten Rädern mehr, sondern der Lenkbefehl wird beim Drehen des Lenkrads über eines oder mehrere Steuergeräte elektrisch zu einem Steller übertragen, der den Lenkbefehl dann ausführt. Wie im Flugzeug auch muss dieses System redundant ausgeführt sein, damit im Falle eines Stromausfalls die Lenkwirkung erhalten bleibt. Ein Vorteil der Technologie ist auch, dass der Einschlagwinkel des Lenkrads beim Einparken oder bei langsamen Fahrmanövern reduziert werden kann, was unnnötige Kurbelarbeit verhindert. Bei sportlicher Fahrweise lassen sich Einschlagwinkel und Lenkgefühl außerdem anpassen - gerade wenn das Steer-by-Wire-System nicht an nur an der Vorderachse, sondern auch der Hinterachse zum Einsatz kommt. Bei einem autonom fahrenden Fahrzeug ist es zudem möglich, das Lenkrad im autonomen Fahrmodus zu verstecken. Die Crashsicherheit soll zudem durch den Wegfall der Lenksäule profitieren.

Fertige Systeme gibt es momentan hauptsächlich in Autos japanischer Hersteller. So zum Beispiel bei der Nissan-Luxusmarke Infiniti, die in den Modellen Q50 und Q60 eine Steer-by-Wire-Lenkung verbaut hat. Das System ist zusätzlich mit einer mechanischen Rückfallebene ausgestattet ( siehe Interview mit Joseph Beer auf S. 31). Auch Toyota möchte in seinem ersten Stromer-Modell bZ4X ein entsprechendes System verbauen.

Zulieferer preschen vor

ZF hat jüngst angekündigt, ein selbst entwickeltes System ab 2023 auf den Markt zu bringen, das laut eigenen Angaben schon von vielen Autoherstellern bestellt wurde. "Die Steer-by-Wire-Technologie von ZF ermöglicht neue Sicherheits- und Komfortfunktionen wie autonome Ausweichmanöver oder das Einparken auf engstem Raum", sagt ZF-Vorstandsvorsitzender Wolf-Henning Scheider. Der Hersteller möchte sein Steer-by-Wire-System in vollautonomen Fahrzeugen wie Shuttles und Robotaxis, aber auch konventionellen Pkw einsetzen. Mehrere Ausfallsicherungen für die Prozessoren und eine Stromnotversorgung sollen den Ausfall der Lenkung verhindern.

Auch Zulieferer Bosch arbeitet an der Technologie. Das Bosch-System besteht aus einem Lenkrad-Aktuator, dem Zahnstangen-Aktuator und Softwarefunktionen. Dabei erzeugt der Lenkrad-Aktuator nicht nur das Lenkgefühl, sondern gibt den Lenkeinschlag des Fahrers an den Zahnstangen-Aktuator weiter, abhängig von Fahrgeschwindigkeit und Fahrbedingungen. Der Zahnstangen-Aktuator empfängt die Signale und lenkt ensprechend ein. Eine redundant ausgeführte fahrzeugseitige Daten- und Spannungsversorgung soll für die nötige Sicherheit sorgen.

Continental ist bereits 2017 mit Nexteer ein Joint Venture im Bereich der elektrischen Lenkung eingegangen (CNX Motion). In dem Joint Venture bündelt der Konzern Know-how im Bereich der Bremse mit der Expertise von Nexteer im Bereich Lenkungssysteme. Dabei wird unter anderem auch eine sogenannte "Braketo-Steer"-Lenkung entwickelt. Diese Redundanz-Lösung greift in dem sehr unwahrscheinlichen Fall eines Ausfalls der Lenkung ein, indem das Fahrzeug durch gezielte Bremseneingriffe an individuellen Rädern gelenkt wird.

Auch Schaeffler arbeitet an der Steer-by-Wire-Technologie zusammen mit dem Joint Venture Schaeffler Paravan Technologie. Das "Space Drive" getaufte System wird bereits im DTM-Rennsport erprobt. Bei Space Drive registriert ein Sensor am Lenkrad des Fahrzeugs die jeweiligen Drehbewegungen. Ein elektrischer Motor am Lenkgetriebe erzeugt die Kräfte und überträgt sie auf die Spurstangen. Ein weiterer Elektromotor am Lenkrad simuliert schließlich jenes Feedback, das dem Fahrer von klassischen Lenkungen bekannt ist.

Nachgefragt - Joseph Beer, Sachverständiger in der Homologation bei TÜV SÜD in München

asp: Lenkungen mit Steer-by-Wire-Technologie sollen in Zukunft in die Autos Einzug halten. Viele große Zulieferer arbeiten an den Lenksystemen. Was bringt die Technik für Vorteile?

J. Beer: Steer-by-Wire-Lenksysteme sind beispielsweise eine Grundvoraussetzung für autonom fahrende Fahrzeugkonzepte, bei denen es keinen herkömmlichen Fahrerplatz gibt. Da bei Steer-by-Wire keine Lenksäule mehr vorhanden sein muss, gibt es auch ein geringeres Verletzungspotenzial bei einem Frontal-Crash. Das Lenkrad kann zudem während des autonomen Betriebs weggeklappt werden, was den Komfort deutlich erhöht. Und es können auch weitere Komfortfunktionen für den Fahrer integriert werden, beispielsweise können Lenkübersetzung und Lenkverhalten an die jeweilige Situation angepasst werden.

asp: Die Technik ist bislang nur in ganz wenigen Fahrzeugen verbaut, beispielsweise im Infiniti Q50 und Q60 oder Toyota bZ4X ab 2023. Was für Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Fahrzeughersteller auf Steer-by-Wire setzen?

J. Beer: Das stimmt, der Infiniti Q50 und Q60 haben ein typgenehmigtes Steer-by-Wire-System. Dieses System ist mit einer mechanischen Rückfallebene ausgestattet, und bei einer Unterbrechung der Stromversorgung wird eine mechanische Verbindung zwischen dem Lenkrad und den Rädern hergestellt. Der Toyota bZ4X soll auch mit einem Steer-by-Wire-System ausgestattet werden, die Details hierzu sind mir bislang leider nicht bekannt. Damit Fahrzeughersteller diese Systeme einbauen dürfen, müssen die Anforderungen der UN-Regelung Nr. 79 (UN-R 79) eingehalten werden. Diese setzt voraus, dass das Fahrzeug beispielsweise auch lenkbar bleiben muss, wenn ein Fehler oder eine Störung im Lenksystem auftritt. Ebenfalls erwähnen möchte ich die Anforderungen an die funktionale Sicherheit, die bei solchen Systemen ein immer wichtigerer Bestandteil ist.

asp: Ist eine Redundanz mit herkömmlicher Technik notwendig? Was passiert im Falle eines Ausfalls?

J. Beer: Eine Redundanz mit herkömmlicher Technik, wie beim Infinity Q50 und Q60, ist nicht zwingend nötig. Es können beispielsweise alle Systeme beziehungsweise Komponenten, die nicht mechanisch sind, redundant ausgeführt werden. Eine Anforderung ist, dass das Fahrzeug im Fehlerfall lenkbar bleiben muss, wenn es beispielsweise noch mit mehr als zehn Kilometern pro Stunde fahren kann. Es bleibt aber dem Hersteller überlassen, welches Sicherheitskonzept er wählt und wie er sein Lenksystem baut, um die Anforderungen der UN-R 79 zu erfüllen. Meiner Ansicht nach sind die Anforderungen der UN-R 79 bezogen auf Steer-by-Wire Systeme noch nicht detailliert genug, aber es wird aktuell an einer DIN-Norm zu grundsätzlichen Sicherheitsrichtlinien für ein Steer-by-Wire-System gearbeitet.

asp: Wird die Einführung der Systeme auch Auswirkungen auf die Hauptuntersuchung haben?

J. Beer: Ja, sie wird definitiv einen Einfluss haben, da weitere, vor allem elektronische Komponenten Bestandteil des Lenksystems werden. Dies betrifft aber auch viele andere Systeme, und entsprechend müssen die Prüfmethoden bei der Hauptuntersuchung angepasst und erweitert werden.

asp: Herr Beer, vielen Dank für das Gespräch!

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