Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV vermeldete Anfang November für 2023 einen finanziellen Verlust von drei Milliarden Euro bei den Kfz-Versicherern und rechnet für das laufende Jahr mit weiteren zwei Milliarden Euro Verlust. Als Grund nennt der GDV die gestiegenen Reparaturkosten. Im Detail seien diese vor allem auf steigende Ersatzteilpreise und hohe Stundenverrechnungssätze zurückzuführen. Für den Bereich Glasbruchschäden vermeldet der Verband für 2023 sogar eine Rekordsumme von 1,7 Milliarden Euro, die die Kasko-Versicherungen zahlten. Das entspricht einer durchschnittlichen Schadensumme von 838 Euro pro Reparatur und einer Steigerung von zehn Prozent gegenüber 2022.
Der GDV führt die Preissteigerungen im Glasgeschäft auf drei Faktoren zurück. So seien die Preise für Ersatzteile, insbesondere Windschutzscheiben, in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen. Der durchschnittliche Stundenverrechnungssatz hat mittlerweile 188 Euro erreicht. Und schließlich hat sich der Arbeitsaufwand erhöht, speziell an Fahrzeugen mit Assistenzsystemen, deren Installation und Kalibrierung den Scheibentausch laut GDV um rund 25 Prozent verteuere.
Überlebensfrage
Die Folgen bekommen Autofahrer derzeit mit teils deutlichen Tarifanpassungen zu spüren. Die Werkstätten hingegen haben verstärkt mit Rechnungskürzungen zu kämpfen. Wer sich ernsthaft mit dem Thema Autoglas beschäftigen möchte, kommt nach Meinung der Konzeptanbieter auf lange Sicht nicht um den Anschluss an ein System herum. Stephan Höss, Geschäftsführer des Systemanbieters KS Autoglas, erklärt warum: "Die Versicherungen drängen deutlich in Richtung Werkstattbindung und Schadenlenkung. Wer keinem System angehört, fällt hinten runter und bekommt vom Kuchen weniger ab. Dazu kommen immer häufiger Rechnungskürzungen und Diskussionen mit den Versicherungen. Die Betriebe müssen teils lange auf ihr Geld warten, brauchen das Geld aber zeitnah."
Fasst man die Gründe zusammen, wird schnell klar: Wer langfristig und unkompliziert ein Geschäft mit der Glasreparatur machen will, kommt um eine Systemanbindung nicht herum. Das sieht Thomas Klein, Vorsitzender des Bundesverbandes Autoglaser e.V., ähnlich (siehe Interview): "Wir als Verband halten uns aus wirtschaftlichen Themen wie Kalkulationen und Abrechnungen zwar raus, das ist Sache der Systemgeber. Es ist aber die Frage, ob ein Betrieb ohne Anbindung an eine Schadensteuerung eine Überlebenschance hat."
- Ausgabe 12/2024 Seite 032 (831.6 KB, PDF)
Harmoniestreben
Gerade im Thema Kalkulationen, Rechnungskürzung und Forderungsmanagement betreiben die Systemanbieter einen hohen Aufwand, um ihre Partnerbetriebe zu unterstützen. Wintec Autoglas führt gerade das neue Abrechnungssystem WIPS bei seinen Partnern ein. "Damit bündeln wir die Prozesse aus unseren bisherigen Plattformen und fassen sie mit dem Abrechnungsprozess zusammen, sodass die Betriebe damit ihren gesamten Workflow abbilden können. Damit können wir unseren Großkunden wie Flotten und Versicherungen ein hohes Maß an Verlässlichkeit bieten", verkündet Stefan Schmadke, Geschäftsführer von Wintec Autoglas. Andreas Dorsch, verantwortlich für die Netzwerkentwicklung bei Wintec Autoglas, ergänzt: "Im Falle von Rechnungskürzungen kümmern sich unsere Mitarbeiter aktiv um die offenen Posten unserer Partner. Wir schalten uns in den Prozess ein, moderieren und versuchen zu regulieren".
Auch bei KS Autoglas sieht man sich als Bindeglied zwischen Werkstatt und Versicherung. "Wir versuchen einerseits, für die Werkstatt so viel wie möglich herauszuholen, und im Gegenzug der Versicherung auch so weit entgegenzukommen, dass sie mit uns zusammenarbeiten will. Denn am Ende haben wir ja nichts gekonnt, wenn der Auftrag woanders landet als in unseren Betrieben", so Stephan Höss.
Technik zunehmend komplex
Derzeit beschäftigt die Betriebe hauptsächlich das Thema Kalibrierung, wo die Konzeptgeber einerseits um bestmögliches Datenmaterial bemüht sind, andererseits aber auch Hotlines und Remote-Services für Problemfälle bereithalten. In Zukunft könnte ein Scheibentausch aber noch herausfordernder werden, Stichwort taktiles Glas. Jennifer Brackhan, Kommunikations- und Contentmanager bei Sekurit Service, erklärt: "Im Hinblick auf das autonome Fahren entwickelt sich die Fahrzeugverglasung von einer passiven zu einer aktiven Scheibe mit zusätzlichen elektronischen Anwendungen, die als Display oder Touchscreen fungieren können." Beim Porsche Taycan oder Renault Rafale können die Dachscheiben bereits auf Knopfdruck oder per Touchscreen verdunkelt werden. Möglich macht dies eine PVB-Folie zwischen den Glasscheiben, die elektrisch angesteuert wird. Saint-Gobain Sekurit hat bereits mit der Entwicklung der Touch-Control-Scheibe für das autonome Fahren begonnen.
"Beispielsweise können die Spiegelhalter durch LCD-Displays im Glas ersetzt werden, die die Funktionen des Rückspiegels sowie der Rückfahrkamera übernehmen. Die Windschutz- und Seitenscheiben können künftig als Schnittstelle für die Insassen dienen, um über Handy oder Tablet Informationen oder Entertainmentprogramme bereitzustellen", blickt Jennifer Brackhan in die nahe Zukunft. Das Plus an Komfort bedeutet jedoch auch, dass der Scheibentausch für die Monteure komplexer wird. Daher sind entsprechende Schulungen und geeignete Kalibriersysteme erforderlich. Vertriebsleiter Helge Lietsch von Scheibenlieferant Glavista kennt eine weitere Herausforderung für die Betriebe: "Die Vielzahl an neuen Herstellern und Modellen, die auf den Markt kommen, sind eine Herausforderung für die Scheibenlieferanten. Wir haben dazu mit einem Kooperationspartner ein eigenes Programm aufgelegt, um auch hier lieferfähig zu bleiben."