asp: Sie sind Geschäftsführer in einem Hamburger Familienunternehmen - welche besonderen Herausforderungen bringt das mit sich?
D. Damaschke: Wir haben das Glück, in einem Unternehmen zu arbeiten, das in Familienbesitz ist. Dass Marc Siemssen und ich in der Geschäftsleitung als familienfremde Manager bestellt wurden, ist eine Premiere in der Familie. Nach über 28 Jahren als Firmenchef hat sich Karl J. Gaertner im vergangenen Jahr aus dem Vorstand zurückgezogen, bleibt aber Vorstandsvorsitzender der Holding Wulf Gaertner Autoparts AG, die zu 100 Prozent im Besitz der Familie ist.
M. Siemssen: Wir versuchen die starken und positiven Werte eines Familienunternehmens aufrechtzuerhalten. Es gehört zur Unternehmenskultur, dass der Mensch stets im Mittelpunkt steht, dass die Kommunikation im Betrieb auf Augenhöhe stattfindet.
asp: Wo liegen die unternehmerischen Herausforderungen?
D. Damaschke: Durch das Wachstum der letzten Jahre ist die Komplexität stark gestiegen, wir müssen neue Ansätze finden, um die richtige Balance hinzukriegen. Das bedeutet Prozesse und Strukturen, die sich bewährt haben, beizubehalten, aber eben auch neue Wege zu gehen, um so der gestiegenen Gesamtkomplexität gerecht zu werden. Hierzu gehören auch finanzielle Aspekte. Meyle versteht sich als mittelständisches Unternehmen. Wir haben uns strategisch so positioniert, dass wir finanziell möglichst unabhängig agieren können.
M. Siemssen: Ein wichtiger Markttrend ist seit Jahren die Konsolidierung. Gleichzeitig spielt Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Die unternehmerische Unabhängigkeit zu wahren, aber gleichzeitig die gewaltigen Aufgaben zu stemmen, das ist schon eine sportliche Herausforderung für die gesamte Branche.
asp: Welche Rolle spielen die internationalen Märkte?
M. Siemssen: Meyle ist stark in Europa und in den USA, in Asien etwas schwächer im Markt etabliert. Der Schwerpunkt liegt nach wie vor in Europa. In den internationalen Märkten sind wir mit dem gesamten Portfolio vertreten. Für den US-amerikanischen Markt haben wir ein eigenes Verkaufsbüro in Kalifornien. Die größte Auslandsgesellschaft befindet sich in Großbritannien mit einem eigenen Lager und einer Verkaufsmannschaft. In Frankreich unterhält Meyle ebenfalls ein eigenes Büro.
D. Damaschke: Zur internationalen Strategie gehört auch, dass wir uns langfristig unabhängiger vom chinesischen Markt machen wollen, das betrifft vor allem den Bezug von Teilen. Wir haben gesehen, wie empfindlich Lieferketten gestört werden können.
asp: Was heißt das konkret?
D. Damaschke: Dazu muss man unsere Wertschöpfungskette verstehen. Wir beziehen ausschließlich Produkte, die genau nach unseren Spezifikationen gefertigt werden. Dazu arbeiten wir mit etwa einem halben Dutzend Herstellern zusammen.
M. Siemssen: Das sind häufig Hersteller in Asien, die über entsprechend große Kapazitäten verfügen. Wir schauen uns um, ob man nicht in anderen Teilen der Welt Ersatz finden kann. Voraussetzung sind mindestens das gleich hohe Qualitätsniveau und die entsprechenden Fertigungskapazitäten.
asp: Welches Qualitätsverständnis hat Meyle für Ersatzteile?
M. Siemssen: Es ist seit jeher unser Anspruch, dass wir mindestens genauso gut oder besser sein wollen als das OE-Teil. Auf diesem Versprechen beruht die gesamte High Durability Linie (HD) von Meyle. Unsere Meyle-HD-Produkte sind im Vergleich zum OE-Teil technisch optimiert. Wir bieten eine verbesserte Ausführung mit hochwertigeren Materialien, das macht die Teile langlebiger und zuverlässiger.
- Ausgabe 12/2024 Seite 044 (367.8 KB, PDF)
asp: Wie kann man sich das vorstellen - wie finden Sie Ansatzpunkte?
M. Siemssen: Wir haben 30 Ingenieure, die sich damit befassen, wie Kfz-Ersatzteile verbessert werden können. Sie kennen die Schwachstellen der Herstellerteile und finden Strategien, wie wir das konsequent besser machen können. Nach diesen Vorgaben lassen wir dann produzieren, beispielsweise in der Türkei in unseren eigenen Werken.
D. Damaschke: Wir bekommen auch Hinweise aus dem Markt. Problemfälle sprechen sich in der Regel schnell herum, und da suchen wir dann nach Lösungen. Es kann auch sein, dass ein Kunde mit einer bestimmten Problemstellung auf uns zukommt. Unser Vorteil ist, dass wir das dann auch sehr schnell umsetzen können, und das schätzen die Kunden.
asp: Wofür steht die Meyle-PD Produktlinie?
M. Siemssen: Meyle PD richtet sich vor allem an Anwender, die Wert auf Performance- und Designaspekte legen. Alle Fahrzeugteile sind zu 100 Prozent passgenau und OE-konform. Schwerpunkmäßig umfasst das PD-Sortiment die Produktkategorien Bremse und Filter. Beispielsweise befreien Meyle-PD-Innenraumfilter die Atemluft noch gründlicher von Feinstaub und Stickoxiden (NOx). Das erreichen wir mit speziell imprägnierter Aktivkohle. Anders als bei herkömmlichen Innenraumluftfiltern mit Aktivkohle wird gefiltertes NOx im Filtermaterial chemisch als Salz gebunden und auch bei der Entsorgung nicht freigesetzt.
asp: Wie identifizieren Sie geeignete Produkte?
M. Siemssen: Wir schauen uns die Teile genau an und analysieren die Ursache von Problemen. Wenn wir die Schwachstellen kennen, können unsere Ingenieure eine eigene Strategie entwickeln. Wir schauen uns beispielsweise den TÜV-Report genauer an - das ist oft eine ergiebige Quelle für Problemfelder. Insgesamt betreiben wir durchaus sehr viel aktive Recherche; hinzu kommen Rückmeldungen von Werkstätten. Wir haben unser Ohr daher sehr nahe am Markt. Oft kommen auch unsere Kunden des Großhandels von sich aus auf uns zu.
asp: Auf der Automechanika haben sie speziell auch Neuentwicklungen für Tesla gezeigt, was bietet Meyle hier konkret?
M. Siemssen: Tesla bietet für uns eine sehr gute Plattform. Tesla hat die Betreuung der Kunden im Service äußerst vernachlässigt. Man hat wohl gedacht, alles per Remote-Software-Update reparieren zu können, aber die Realität ist ganz anders. Auf der Automechanika haben wir einige spannende Produkte speziell für Tesla gezeigt. Ein Highlight war sicher der Hinterachslenker für die Tesla-Modelle S und X: Mit unserem Re-Engineering-Know-how gelang es uns, eine Lösung für eine problematische Konstruktion bestimmter Tesla-Modelle zu entwickeln: Die Konstruktion des OE-Hinterachslenkers kann dazu führen, dass die Integralgelenkaufnahmen brechen und sich in der Folge die Verbindung zum Reifen lösen kann. Die Meyle-Lösung verwendet Aluminiumvollmaterial und steifere Buchsen. Damit wird der Reifen in seiner Position gehalten, das Unfallrisiko wird damit verringert und das Fahrgefühl durch das optimierte Buchsen-Design verbessert.
asp: Meyle plant auch ein Weiterbildungsangebot für E-Fahrzeuge?
D. Damaschke: Im EV-Experience Center wollen wir zusammen mit unserem Kooperationspartner Nik Persch unsere Erfahrungen im Bereich E-Fahrzeuge anderen Werkstätten vermitteln. Viele Werkstätten im Freien Markt haben noch Bedenken, sich an E-Fahrzeuge heranzuwagen. Das wollen wir überwinden. Die E-Mobilität ist da und sie wird bleiben, daran gibt es keinen Zweifel. Wir haben in einer Umfrage festgestellt, dass ein Drittel der Werkstätten ihre Zukunft ganz ohne Elektromobilität plant. Das kann nicht gut gehen. Wir bieten mit dem EV-Experience Center einen Grundkurs plus darauf aufbauende Kurse. Insgesamt drei Module mit je einem theoretischen sowie praktischem Teil. Darin lernen die Teilnehmer ganz nah an der Praxis das Arbeiten am E-Fahrzeug. Voraussetzung für die Teilnahme ist mindestens ein HV-Schein S1 sowie Grundkenntnisse in Englisch. Die ersten Trainings sollen im kommenden Jahr stattfinden.