Kurzfassung
"Remote Services" ermöglichen zahlreiche Prozesse direkt über die Herstellerportale. Offenes Geheimnis: Hinter der Idee steht der niederländische Technologieentwickler Jifeline, der das System entwickelt hat.
Neuere Fahrzeuge stecken voller Elektronik und sind mehrfach gesichert. Nach dem Austausch von bestimmten Bauteilen in der Werkstatt müssen diese erst freigeschaltet oder codiert werden, damit sie korrekt funktionieren. Das geht über das Serviceportal des jeweiligen Herstellers. Auch die Neuprogrammierung von Steuergeräten (Flashen) und die Kalibrierung von Sensoren und Kameras von Fahrerassistenzsystemen stellen Werkstätten vor Herausforderungen. Nicht jede Werkstatt ist willens oder in der Lage, die hohe Investition in das notwendige Know-how und das Equipment zu tätigen - zumal wenn alle möglichen Fahrzeugmarken auf der Bühne stehen.
Wer auf unterschiedlichen Herstellerportalen arbeiten muss, hat einige Hürden zu überwinden: Allein das Prozedere der Freischaltung und die Bedienung der unterschiedlichen Portale bereiten manchem Betrieb Kopfzerbrechen. Die Anbieter von Diagnoselösungen haben auf den Bedarf reagiert und bieten Remote Services an, die als erweiterte Hotline den Werkstätten spezifische Arbeiten abnehmen - unter anderem Freischaltungen und Codierungen auf Herstellerportalen. Dieser Remote Service ist für viele Betriebe eine sinnvolle Ergänzung im Tagesgeschäft, unter anderem für K&L-Betriebe.
Diagnose per Interface
Herth+Buss bietet die Dienstleistung unter dem Namen "Diagnose on Demand" samt passendem VCI (Vehicle Communication Interface) an. Die Kostenberechnung erfolgt nach tatsächlicher Diagnoseleistung ohne monatliche Fixkosten oder Update-Kosten. Die Werkstatt benötigt lediglich das VCI, das an die OBD-Schnittstelle des Fahrzeugs angeschlossen wird. Eine Software-Installation auf dem Computer ist nicht notwendig, die Dienstleistung Diagnose on Demand läuft via Webbrowser mit jedem Betriebssystem. Über eine Online-Verbindung wird die Verbindung zwischen dem Fahrzeug in der Werkstatt und dem Diagnose-Team hergestellt.
Bei Hella Gutmann läuft der Service unter dem Namen "MacsRemote Services" ( siehe Interview). Nachdem das obligatorische VCI an die OBD-Schnittstelle des Fahrzeugs angeschlossen wurde, öffnet der Mitarbeiter den Web-Browser auf einem beliebigen Smartphone, Tablet oder PC und loggt sich ein. Nach Eingabe des Fahrzeugtyps wählt er die erwünschte Dienstleistung und beauftragt die Leistung per Mausklick. Die anfallenden Kosten sind sofort ersichtlich. Der Hella-Gutmann-Mitarbeiter schaltet sich auf das Fahrzeugsystem auf und kommuniziert über den Hella-Gutmann-Server direkt mit dem Backend des Herstellers.
Zuletzt haben die Software-Spezialisten von Adis Technology zusammen mit der Kfz-Plattform Fabucar mit "DFT Direct" ein ähnliches System vorgestellt, das ausschließlich über den Shop der Plattform FabuCar Pro erhältlich ist. Nach Anschluss des VCI an den OBD-Anschluss des Kundenfahrzeugs können beispielsweise Anhängerkupplungen oder Schlüssel codiert, Lenkwinkelsensoren initialisiert oder Steuergeräte programmiert werden. Auch hier passiert alles remote, geschulte Mitarbeiter von Adis Technology in Aachen übernehmen 19.000 verschiedene Dienstleistungen an Fahrzeugen von derzeit 46 Herstellern. Auch allgemeine Diagnosedienstleistungen sind über DFT Direct buchbar.
Im Umfeld der letzten Automechanika hat auch Bosch mit dem neuen Remote Diagnostics Service eine Lösung für die Ferndiagnose vorgestellt. Remote Diagnostics Service basiert auf drei Säulen: dem Kundenportal, über welches Leistungen wie Service-Buchungen, Terminplanung oder Online-Bezahlung abgewickelt werden, dem technischen Bosch Support und dem Kommunikations-Tool RDS 500 als Schnittstelle für den Fernzugriff auf das Kundenfahrzeug. Während der gesamten Fernprozedur steht der Werkstattmitarbeiter in direktem Kontakt mit einem Bosch-Experten. Und: Mit der Bosch-App Visual Connect Pro kann sich der Experte sogar selbst ein Bild von der Reparatursituation vor Ort machen. Hierzu muss die App auf dem Handy des Mechanikers in der Werkstatt installiert sein. Der Bosch-Service-Mitarbeiter kann sich anschließend mit dessen Smartphone verbinden und per Handy-Kamera live mit dabei sein.
Remote Diagnostics - ein Joker für alle Fälle
Wann Remote Service zum Einsatz kommen kann:
- Eine Funktionalität ist im aktuellen Software-Release des Mehrmarkendiagnosegerätes noch nicht abgebildet - das kann bei neueren Fahrzeugtypen der Fall sein.
- In der Werkstatt fehlt Know-how für bestimmte Fahrzeugmarken/-typen- Prozesse sollen schnell gehen, Mitarbeiter hat wenig Zeit, sich in ungewohnten Prozess einzuarbeiten
- Markengebundene Werkstatt führt auch Arbeiten an Drittmarken aus, für die kein Diagnosegerät zur Verfügung steht
Typische Aufgaben für Remote Service:
- Ersetzte Komponenten- und Bauteile codieren, zurücksetzen und freischalten (z. B. Lenkung, Getriebe, Scheinwerfer)
- Neues Zubehör codieren (z. B. Anhängerkupplung)
- Servicerückstellung
- Ad-Blue-Warnungen zurücksetzen
- Schlüsselfernbedienung programmieren
- Fehlercodes lesen und löschen bei neuesten Fahrzeugen
- Kalibrieren von Frontkamerasystemen
- Kalibrieren von Radar- und Lidar-Systemen
- Kalibrieren von Heckkameras und 360°-Überwachungssystemen
- Ausgabe 01/2022 S.28 (108.9 KB, PDF)
Fragen an ...
asp: Für welche Kunden macht MacsRemote Services Sinn?
Jens Schubert: Werkstätten nutzen MacsRemote Services aus ganz unterschiedlichen Gründen. Viele Kunden, die schon ein Hella-Gutmann-Diagnosegerät nutzen, wünschen sich professionelle Unterstützung für Fahrzeuge, die so neu sind, dass sie im aktuellen Release der Diagnosesoftware noch gar nicht berücksichtigt werden konnten. Dann ist MacsRemote Services der Joker in der Hinterhand. Gerade bei Mehrmarkenbetrieben ist nicht für alle Fahrzeugmarken ausreichend Routine vorhanden. Dann senkt MacsRemote Services die Hemmschwelle, auch diese Fahrzeuge anzunehmen. Außerdem kann MacsRemote Services ein pragmatischer Weg sein, schnell eine Diagnose durchzuführen oder ein neues Bauteil zu codieren. Oft ist diese Abkürzung billiger als stundenlanges Herumprobieren.
asp: Haben Sie ein eigenes Team, das sich um die Anfragen kümmert?
J. Schubert: Die Anfragen landen bei einem eigens dafür bereitgestellten Expertenteam von Hella Gutmann. Das "Remote-Team" arbeitet dabei Hand in Hand mit der Hella-Gutmann-Hotline. Beide haben Zugriff auf die Information, was schon am Fahrzeug gemacht wurde. So können Fälle nahtlos von der Hotline ans Remote-Team übergeben werden. Um in Peakzeiten längere Wartezeiten für Kunden zu vermeiden, können wir als Überlauf zudem auf die Ressourcen von Jifeline zugreifen.
asp: Welche Aufgaben werden am häufigsten über Remote angefragt?
J. Schubert: Die Services sind sehr vielfältig, von der Fehlerspeicherauslese über das Freischalten und Anlernen neuer Bauteile bis zur Kalibrierung von Frontkameras – und das multipliziert mit allen möglichen Automobilmarken und -typen. Das Feld ist breit gestreut und die Anwendungen werden immer vielfältiger, weil der Anteil elektronischer Bauteile im Auto noch zunimmt.
asp: Wie sicher können die Prozesse abgebildet werden?
J. Schubert: Wir legen sehr viel Wert darauf, dass alle Vorgänge sicher ablaufen und dokumentiert sind. Das sowohl aus Haftungsgründen, etwa bei Arbeiten, bei denen die Wegfahrsperre betroffen ist, als auch um Fehler zu vermeiden. Deshalb sind die einzelnen Prozessschritte genau vorgegeben, So muss die Werkstatt im Laufe einer Kamerakalibrierung bestimmte Punkte jeweils aktiv bestätigen, beispielsweise, dass das Fahrzeug korrekt ausgerichtet wurde. Nur dann geht es im Prozess weiter.