Kurzfassung
Fahrwerksexperte Alexander Holz aus München erklärt, wie bei einer Unfall-Fahrwerksvermessung voargegangen werden muss und welchen Nutzen Kfz-Sachverständige und Unfallgeschädigte hiervon haben.
Ortstermin im Münchner Westen bei der Firma KFZ Messtechnik GmbH im Gewerbegebiet Brunham Straße. Auf der Fahrbahnhebebühne des Betriebs steht ein Renault Twingo mit einem Unfallschaden am rechten vorderen Kotflügel. "Wir bekommen regelmäßig von Partner-Sachverständigen Fahrzeuge zur Spur- beziehungsweise Fahrwerksvermessung, um Unfallschäden genau zu dokumentieren", sagt Alexander Holz, Geschäftsführer und Inhaber der KFZ Messtechnik GmbH. So auch in diesem Fall, einem verunfallten Renault Twingo. Kfz-Sachverständiger Edgar Schnattinger-Seitz von der WD Carmanagement (Inh. Wolfgang Droschzak) aus München möchte bei Holz das Fahrwerk genau vermessen lassen, da er den Verdacht hat, dass der Unfall-Anstoß nicht nur den Kotflügel betroffen hat. "Bei der ersten Begutachtung des Fahrzeugs beim Unfallgeschädigten habe ich Anstoß-Spuren am Rand der rechten vorderen Felge festgestellt", erklärt Schnattinger-Seitz. "Meine Aufgabe ist es daher, damit die Betriebssicherheit des Fahrzeugs nach der Reparatur auch langfristig gewährleistet bleibt, zuerst den Unfallhergang anhand des Trefferbildes zu rekonstruieren, diesen dann mit den Angaben des Geschädigten abzugleichen, um schließlich den Schadenumfang festlegen zu können."
Die Frage, die sich ein Sachverständiger wie Schnattinger-Seitz hier stellt, lautet daher immer zuerst: Was genau ist passiert? Das Anstoß- beziehungsweise das Trefferbild lässt oftmals deutliche Rückschlüsse zu, was genau am Fahrzeug beschädigt sein muss. Im Fall des kleinen Renault zeigten die Spuren am Felgenrand, dass auch die Spurstange, die Achsschenkel, das Lenkgetriebe und auch die Stoßdämpferaufhängung mit hoher Wahrscheinlichkeit in Mitleidenschaft gezogen wurden. Eine genaue Untersuchung aller sicherheitsrelevanten Fahrwerksteile ist daher Pflicht. Jedoch muss der Sachverständige einwandfrei nachweisen können, dass diese Teile, wie im Fall des Twingo, tatsächlich durch den Unfall beschädigt wurden. "Das gilt auch bei nicht einwandfrei ersichtlichen Trefferbildern", so Schnattinger-Seitz. "Auch dann müssen bei Verdacht sicherheitsrelevante Teile, wie zum Beispiel das Lenkgetriebe, nach Herstellervorgabe ersetzt oder repariert werden."
Unsichtbare Schäden
Der Nachweis, dass Teile am Fahrwerk beschädigt wurden, kann direkt oder indirekt erfolgen. Beim direkten Nachweis sind Teile sichtlich zerstört, so beispielsweise eine verbogene oder geknickte Spurstange. "Beim indirekten Nachweis wird das Fahrwerk von uns vermessen", erklärt Holz, "denn nicht immer sind Schäden mit dem bloßen Auge erkennbar." Doch mit einer einfachen Service-Fahrwerks- beziehungsweise -Spurvermessung ist es hier nicht getan. "Wir erleben es immer wieder, dass Werkstätten, um beispielsweise einen Frontschaden am Fahrwerk zu vermessen, zuerst, wie sie es von der gewöhnlichen Service-Fahrwerksvermessung gewohnt sind, die Hinterachse auf Soll einstellen", so Holz. "Dies darf man aber keinesfalls machen, da diese Vorgehensweise bei einer Unfallschadenaufnahme eine unzulässige Manipulation am Fahrzeug darstellt." Holz verweist hier darauf, dass auch die Hinterachse bei Frontschäden in Mitleidenschaft gezogen werden kann, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist.
Würde man dann die Hinterachse zur Fahrwerks- beziehungsweise Spurvermessung einstellen, könnte hierdurch der tatsächliche Schadenumfang verfälscht beziehungsweise minimiert werden, da das Einstellen quasi einer Reparatur gleichkommt. "Das kann tatsächlich so weit reichen, dass eine zur Messung auf Werkstoleranz eingestellte Hinterachse letztlich auch das Trefferbild an der Vorderachse aufheben kann", erklärt Holz. "Dies passiert vorzugsweise dann, wenn ein Vorschaden, zum Beispiel ein harter Bordsteinanstoß, an der Frontachse vorliegt, der durch den Unfall zurück in den Sollbereich geschoben wurde." Die Geometrie der Vorderachse wirkt dann unbeschädigt, ist es aber nicht, da Spurstangen, Achsschenkel und anderes bereits zum zweiten Male mechanisch überbeansprucht wurden.
Auf Werks-Soll gerechnet
Bei der KFZ Messtechnik GmbH wird daher bei der Unfallvermessung zunächst der Ist-Zustand aufgenommen und erst dann die Hinterachse auf das Werks-Soll gerade gerechnet. Die sich hieraus ergebenden Abweichungen entsprechen dann dem tatsächlichen Unfallschaden am Fahrwerk. Maßgeblich für die Messungen sind dabei der Fahrachswinkel - dieser ergibt sich aus Spur, Seitenversatz und Schrägstand der Hinterachse - und die Spreizung der Vorderachse, hier gemessen an der Spreizung des Federbeins zum Federteller, die zumeist bei ±15 Minuten liegt. Hinzu kommt die Messung der Nach- und Vorspur. "Mit der präzisen Vermessung des Fahrwerks bezogen auf die gerade gerechnete Hinterachse lassen sich auch Schadenbilder attestieren, die gerade noch im Werks-Sollbereich liegen", sagt Holz.
Voraussetzung für die Spur- beziehungsweise Fahrwerksvermessung ist ein hochpräzises Laser-Spur- beziehungsweise Fahrwerksvermessungssystem (hier: Beissbarth-Achsmessgerät Easy 3D+) und eine kalibrierte Fahrbahnhebebühne, auf die das Fahrzeug entspannt völlig horizontal steht. Das bedeutet auch, dass die Räder der Vorderachse auf Schiebetellern gelagert sein müssen, um einer Verspannung des Fahrwerks entgegenzuwirken. "Wird das Fahrzeug ausgerichtet, achten wir bereits hier auf die Stellung des Lenkrades", sagt Holz. "Abweichungen von der Soll-Einstellung weisen hier bereits auf Fahrwerkschäden im Frontbereich hin." Damit die Daten für die Sachverständigen auch gerichtsfest sind, werden alle festgestellten Ist-Daten zusammen mit den Soll-Daten protokolliert. Sogar die Temperaturdaten werden dabei im Gutachten mitaufgenommen.
"Anhand dieser Daten kann ich dann den Unfallhergang zweifelsfrei rekonstruieren", sagt Schnattinger-Seitz. "Gerade wenn es um weitere Vermessungsarbeiten und Prüfungen, wie zum Beispiel einen Stoßdämpfertest, geht, bin ich hier, was die Ansprüche des Geschädigten bezüglich Teile-Ersatz, Prüf- und Arbeitskosten angeht, auf der sicheren Seite und der Kunde kann diese gegebenenfalls gerichtsfest besser durchsetzen."
- Ausgabe 2/2023 Seite 28 (577.4 KB, PDF)