Man möchte das Sprichwort einfach umdrehen und feststellen: "Wo viel Schatten ist, muss auch Licht sein." So lassen sich die Ergebnisse der vorliegenden Studie vielleicht am besten kurz zusammenfassen. In einer aktuellen Studie hat die Unternehmensberatung Roland Berger im Auftrag des Europäischen Verbandes der Automobilzulieferer CLEPA untersucht, welche Auswirkungen die Umstellung des Fuhrparks auf den Aftersales hat. Die Studienautoren haben sich 250 Komponenten entlang von 53 Systemen in den fünf Kernbereichen des Fahrzeugs angesehen: Fahrwerk, Antriebsstrang, Motor, Interieur und Exterieur. In allen Bereichen wurden die Auswirkungen, sowohl negativ als auch positiv, auf die Nachfrage im Aftermarket analysiert.
Bezogen auf das einzelne Fahrzeug geht Roland Berger davon aus, dass rein batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) ein rund 30 Prozent geringeres Umsatzpotenzial im Bereich Aftermarket-Ersatzteil haben als Autos mit Verbrennungsmotor. Um die Effekte auf die Aftermarket-Umsätze abzuschätzen wurden drei Szenarien zugrunde gelegt, die von jeweils unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Elektrifizierung ausgehen (Basis-Szenario, mittleres Szenario, aggressives Szenario).
Entsprechend sind auch die Auswirkungen auf das gesamte Umsatzpotenzial für die "typischen Aftermarket-Komponenten" (also solche, die sowohl im Verbrenner als auch im E-Auto eine Rolle spielen) unterschiedlich: Im Basis-Szenario sinken die Umsätze zwischen 2019 und 2030 um drei Prozent, bis 2035 um acht Prozent und bis 2040 um 13 Prozent. Für das mittlere Szenario prognostiziert Roland Berger einen Rückgang um fünf Prozent (2030), elf Prozent (2035) und 16 Prozent (2040) und im Szenario "Aggresive Elektrifizierung" um sechs Prozent (2030), zwölf Prozent (2035) und 17 Prozent (2040).
Die Gesamtnachfrage nach diesen Teilen sinkt bis 2040 je nach Szenario auf 83 bis 87 Prozent des Niveaus von 2019. Dieser Rückgang wird hauptsächlich durch Komponenten in den Bereichen Antriebsstrang und Motor getrieben, da die meisten Teile hier entweder durch BEV-spezifische Teile ersetzt werden oder nicht mehr benötigt werden
Das größte Aftermarket-Potenzial sehen die Autoren der Studie bei den Batterien. Aufgrund der kontinuierlichen Verschlechterung der Batteriezellen über ihre Lebensdauer wird die durchschnittliche Ausfallrate in den ersten 20 Jahren der Fahrzeuglebensdauer voraussichtlich bei rund fünf Prozent liegen. Roland Berger prognostiziert, dass der Gesamtwert des Aftermarket für Batterien bis 2040 für BEV und Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeuge (PHEV) in Europa 3,5 bis 4,0 Milliarden Euro erreichen wird. Interessant sind auch Wärmemanagement-Komponenten. Diese unterliegen dem Verschleiß und sorgen für Umsatzpotenzial.
- Ausgabe 10/2022 S.46 (119.3 KB, PDF)
asp: Beim E-Auto ist der Bedarf an Ersatzteilen geringer. Kann das duch neue Umsatzmöglichkeiten ausgeglichen werden?
Maximilian Wegner: In der Gesamtmarktentwicklung spielen viele Faktoren eine Rolle, die wir in unserer Untersuchung bewusst nicht berücksichtigt haben. Die vorliegende Studie betrachtet ausschließlich die Effekte der zunehmenden Elektrifizierung des Fuhrparks. Und hier ergibt sich unterm Strich ein deutliches Minus aus dem Wechsel der Antriebstechnologie. Die neuen Umsatzpotenziale können die Verluste nicht ausgleichen. Aber nochmal: Effekte wie veränderte Kilometerlaufleistungen oder Effekte von Fahrerassistenzsystemen auf das Unfallgeschehen wurden nicht einbezogen, ebenso wenig Effekte durch die gestiegene Inflation.
asp: Ist der Aftermarket noch ein Wachstumsmarkt?
Frank Schlehuber: Bis ca. 2030 gehen wir in den Prognosen der CLEPA weiterhin von einem leichten stabilen Wachstum der Umsätze im Aftermarket aus. Auch nach 2030 wird der Markt sicher nicht komplett abdriften, aber der Effekt durch die Elektromobilität wird dann deutlich stärker zum Tragen kommen. Auf der anderen Seite beobachten wir seit Jahren eine Erhöhung der Laufleistung und eine Vergrößerung des Fahrzeugparks. Möglicherweise sehen wir dann langfristig eine stabile Seitwärtsbewegung des Marktes.
asp: Welche Empfehlungen geben Sie Werkstätten mit?
F. Schlehuber: Aus unserer Sicht sollten sich Servicebetriebe zeitnah auf den Service und die Reparaturen beim E-Fahrzeug einrichten. Der Wechsel vom Verbrenner zum batterieelektrischen-Fahrzeug kommt je nach Szenario absehbar in einigen Jahren. Dieser Trend ist unumkehrbar.
asp: Was sollen Werkstätten jetzt tun?
M. Wegner: Wir sehen zwei sinnvolle Strategien: Einerseits könnten sich Betriebe zum Spezialisten für E-Fahrzeuge mit guten technischen Fähigkeiten entwickeln. Dort könnte die Reparatur vieler Marken mit hoher Expertise erfolgen. Diese Entwicklung sehen wir beispielsweise heute schon im norwegischen Markt, wo es solche Spezialisten im Werkstattmarkt schon gibt. Das wird jedoch nicht für alle Betriebe leistbar sein und ist auch nicht notwendig. Die zweite Stoßrichtung für Werkstätten besteht darin, sich Grundfähigkeiten im Bereich Wartung und Service von E-Fahrzeugen anzueignen, parallel aber ein starkes Netzwerk an Partnern aufzubauen, die dann bei tiefergreifenden Reparaturen, beispielsweise an der Batterie, hinzugezogen werden können.
asp: Kommt es zur Bereinigung im Werkstattmarkt?
F. Schlehuber: Der Trend zu weniger aber größeren Betrieben ist heute schon sichtbar, ist aber nicht in erster Linie getrieben durch die E-Mobilität. Aufgrund neuer Technologien wie Fahrerassistenzsysteme und der weiteren Digitalisierung der Fahrzeuge müssen Werkstätten massiv investieren, um weiterhin im Spiel zu bleiben. Kleinere Einheiten oder Betriebe mit wenig Kapital werden diese Investitionen nicht stemmen können. Gefragt sind zunehmend Werkstattnetzwerke im freien Markt, die auch in der Lage sind, überregional Flottenkunden zu bedienen. Für Flottenkunden wird damit der freie Markt zunehmend attraktiv.