Die deutschen Autokonzerne hüllen sich nach dem Vorwurf eines möglichen Autokartells weiterhin in Schweigen. Der weltweit größte Autobauer Volkswagen rief seine Aufsichtsräte aber zu einer Sondersitzung am kommenden Mittwoch zusammen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren, aber es lägen "Informationen" zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin wird die EU-Kommission die Federführung bei der Aufklärungsarbeit übernehmen.
Die Autobranche steht bereits wegen der VW-Abgasaffäre und zu hoher Diesel-Emmissionen unter Druck - bei den nun in Rede stehenden Kartellverstößen könnten ihnen Milliardenstrafen drohen. Das belastete die Aktienkurse: VW, Daimler und BMW verloren am Montag zwischen drei und vier Prozent - noch mehr als nach Veröffentlichung der Vorwürfe am Freitag.
Der "Spiegel" hatte über ein seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich seit den 1990er Jahren über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen. Danach sollen sich die Hersteller auch verständigt haben, kleinere, billigere Tanks für Harnstoff (AdBlue) einzubauen, der gefährliche Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben.
Durchsuchungen vor einem Jahr
Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte das Kartellamt in Bonn mit.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte "eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären", sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist, in der "Welt" (Montag).
Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, "reinen Tisch" zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, "muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie", sagte der CDU-Politiker am Montag im ARD-"Morgenmagazin".
"Spekulationen und Vermutungen"
Daimler hatte von "Spekulationen", VW-Chef Matthias Müller in der 'Rheinischen Post' von "Sachverhaltsvermutungen" gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte aber klar: "Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück."
Der BMW-Betriebsrat erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten haben. Der Betriebsrat erwarte aber eine umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. "Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung", sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht.
Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller rechnet wegen des möglichen Auto-Kartells mit einer Klagewelle. Zehntausende Autokäufer könnten Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen, wenn sie wegen Absprachen der Hersteller zu viel für ihre Fahrzeuge gezahlt hätten, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Der Gesetzgeber sollte eine Musterklage ermöglichen, damit Kunden nicht einzeln vor Gericht gehen müssen, sondern sich zusammentun können.
Daimler hatte nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" nach dem Auffliegen des Lkw-Kartells 2011 Kartellrechts-Lehrgänge eingeführt und begonnen haben, sich aus den geheimen Treffen mit VW, Audi, Porsche und BMW teilweise zurückzuziehen. Daimler war von der EU-Kommission wegen Preisabsprachen für Lkw zu 1,1 Milliarden Euro Bußgeld verdonnert worden. (dpa)