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Lockdown-Verhandlungen: Komplizierte Corona-Lockerungen mit Risiken

04.03.2021 10:03 Uhr | Lesezeit: 6 min
Der verabschiedete Stufenplan ist komplex und mit Risiken behaftet.
© Foto: svetazi – stock.adobe.com

Der Druck auf Bund und Länder war enorm: Lockerungs-Erwartungen stehen gegen die Gefahr durch Virusvarianten. Am Ende gibt es einen komplizierten Stufenplan mit regionalen Öffnungen und mehr Tests. Ob die Menschen mitziehen?

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Man stehe an einer neuen Schwelle, sagt Angela Merkel, an der Schwelle zu einer "neuen Phase" der Corona-Pandemie. Nach monatelangem Lockdown spricht die Kanzlerin nun von "Schritten der Öffnung" - die das Land aber nicht wieder zurückwerfen dürften. Dann erläutert Merkel nach rund neunstündigen, streckenweise harten Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten, was "neue Phase" konkret bedeutet: Es gibt nun eine Öffnungsstrategie, weitgehend entlang regionaler Corona-Zahlen. Verbunden mit einer "Notbremse".

Merkel muss viel erklären: Die zuletzt als zentraler Maßstab geltende Sieben-Tage-Inzidenz von 35 für Lockerungen auf breiter Front ist Geschichte - nun gilt der Wert 50. Merkel knickt an diesem zentralen Punkt am späten Mittwochabend ein - offenbar auch, um ein Auseinanderdriften der Länder zu verhindern und einen Kompromiss überhaupt möglich zu machen. Hinzu kommt: Es kann nun eingeschränkte Öffnungen etwa im Handel mit festen Einkaufsterminen schon dann geben, wenn lediglich der Wert 100 unterschritten wird. Statt 35 gelten also nun die Werte 50 und 100: Was die einen freuen dürfte, dürfte anderen dicke Sorgenfalten auf die Stirn treiben.

Dass auch Merkel sich dem Druck nicht mehr völlig entziehen kann, war schon am Vortag deutlich geworden. Nach dem wochenlangen Corona-Lockdown würden Lockerungen "sehnlichst gewünscht", auch sie selbst halte Öffnungen für notwendig, sagte die Kanzlerin nach Teilnehmerangaben in einer Online-Sitzung der Unionsfraktion.

Am Ende der Bund-Länder-Runde steht eine Aufweichung der bisherigen Inzidenz-Schwellen, aber auch ein kompliziertes Öffnungsmodell mit diversen Stufen und Schrittfolgen, das bei vielen Menschen viele neue Fragezeichen aufwerfen dürfte. All dies zeigt: Es ist ein schmaler Grat zwischen Öffnungen und drohender dritter Welle.

"Zwei Helfer" im Kampf gegen das Virus

Womit Merkel und auch Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU), als einer der schärfsten Anti-Corona-Kämpfer schon immer eng an der Seite der Kanzlerin, den Kursschwenk rechtfertigen und erklären: Dass man gemeinsam mit den Bürgern im Kampf gegen das Virus viel erreicht habe; dass trotz der Mutationen die Infektionszahlen nicht so stark gestiegen seien wie anderswo; und dass es anders als vor einem Jahr "zwei Helfer" im Kampf gegen das Virus gebe: die Impfstoffe und eine ganze Bandbreite von Testmöglichkeiten. Tatsächlich sollen viel mehr Tests als bisher die Öffnungen begleiten, flächendeckend. Das Ganze sei "nichts Überstürztes und nichts Unbedachtes", sagt Söder.

Merkel verweist insbesondere auf die "Notbremse": Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region an drei aufeinanderfolgenden Tagen wieder über 100 liegen, greift wieder der aktuelle Lockdown.

Sorgen vor dritter Welle

Der mühsam erreichte Kompromiss zeigt, in welcher Zwickmühle die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten stecken: Einerseits hatte das Sinken der Corona-Zahlen in den vergangenen Wochen breite Hoffungen und Erwartungen auf ein schrittweises Ende des Lockdowns geweckt. Andererseits sind die Zahlen zuletzt wieder gestiegen - und die Sorgen vor einer großen dritten Welle wieder deutlich gewachsen.

Der Virologe Christian Drosten sagte kürzlich im 'FAZ Podcast für Deutschland', die Bundesrepublik stehe am Beginn der dritten Welle. Einige Wissenschaftler hatten zuletzt erklärt, das Erreichen der bisher als Maßstab geltenden Inzidenz von 35 sei aktuell nicht mehr realistisch. Als Gründe gilt eine Lage, die Experten mit einem Wettlauf vergleichen: zwischen den bisher eher langsam ablaufenden Impfungen und der raschen Ausbreitung der ansteckenderen Virusvarianten.

Vor allem geht es um die in Großbritannien entdeckte Mutante B.1.1.7, die nach konservativen Schätzungen gut ein Drittel ansteckender ist als frühere Corona-Formen. Drosten schätzt den Anteil der Mutante an den Infektionen in Deutschland inzwischen auf ungefähr die Hälfte, das Robert Koch-Institut sprach am Mittwoch von rund 46 Prozent.

Mediziner wollten Lockdown bis Anfang April

Dieser Anteil werde weiter steigen, das sei unausweichlich, sagte Drosten. Lockerungen bedeuten daher wohl das Risiko, dass die Fallzahlen wieder steil ansteigen. Die Fachgesellschaft der Intensivmediziner hatte deshalb gefordert, bis Anfang April im Lockdown zu bleiben.

Auch die Ministerpräsidenten spürten in den vergangenen Wochen den zunehmenden Erwartungsdruck der Bevölkerung, aus ihren eigenen Parteien oder von etwaigen Koalitionspartnern. Selbst Söder hatte zuletzt mit als erster Baumärkte öffnen lassen, zum Ärger mancher Amtskollegen.

Einerseits warnten Kanzlerin und Ministerpräsidenten also vor den Gefahren einer dritten Welle. Es dürfe keinen "Öffnungsrausch" geben, die Politik dürfe nicht die Nerven verlieren, mahnte etwa Söder. Andererseits wuchs offenbar die Erkenntnis, dass es doch konkretere Perspektiven und Pläne als bisher für die kommenden Wochen braucht.

Und auch wenn der neue Öffnungsplan nun maximal kompliziert ist - Bund und Länder müssen sich auch die Frage gefallen lassen, warum ein solcher Plan nicht schon vor einigen Wochen vorgelegt werden konnte.

Beim Thema Härtefallbonds fliegen die Fetzen 

Es geht in der Bund-Länder-Runde an mehreren Stellen zur Sache - nicht nur beim komplizierten Stufenmodell und den Inzidenz-Schwellen. Beim Thema Härtefallfonds für Unternehmen fliegen dem Vernehmen nach die Fetzen - vor allem zwischen Söder und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Scholz soll demnach gesagt haben, es solle keiner träumen, dass der Bund ein Konto einrichten werde, von dem alles bezahlt werde. Söder wiederum soll geantwortet haben, Scholz sei "nicht der König von Deutschland". Söder bestätigt nachher den Zwist, nicht aber die Zitate. Und er beschwichtigt: "Ich will nicht sagen, wie sind ein Herz und eine Seele - aber es ist alles wieder gut."

Wie es im Kampf gegen das Virus weitergeht, kann kurz nach Mitternacht keiner vorhersagen. Söder räumt ein, man gehe - das hätte er so vielleicht vor zehn Tagen nicht erwartet - nun schon "sehr große Schritte". "Wir haben kein schlechtes Gewissen dabei, aber wir haben schon Sorgen und Bedenken." Söder gibt zu: "Es kann sich zum Guten, aber auch zum Schlechten entwickeln." Man hoffe sehr, dass der März ein Chancen-Monat werde. "Garantieren kann das niemand."

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