Crashtest-Wiederholung
Anhand eines nicht fachgerecht instandgesetzten und erneut gecrashten Mittelklasse-Pkw wies das Kraftfahrzeugtechnische Institut (KTI) die Wichtigkeit modellspezifischer Instandsetzungsvorgaben nach.
Unfallreparaturen entwickeln sich zu individuellen Angelegenheiten. Einerseits nimmt die Typenvielfalt auch innerhalb der Pkw-Baureihen stetig zu. Andererseits sind deren Karosserien aus immer mehr unterschiedlichen Werkstoffen gefügt. Das erfordert neben periodischer Weiterbildung auch die Akzeptanz bislang nicht praktizierter, jedoch inzwischen vorgeschriebener Reparaturmethoden. Auswirkungen der Ignoranz neuer Methoden hat das Kraftfahrzeugtechni-sche Institut (KTI, www.k-t-i.de), vormals Altensteig, heute Kassel, im Rahmen einer letztjährigen Crashtest-Wiederholung mit zwischenzeitlicher Instandsetzung untersucht. Der korrekte Titel der Studie lautet „Auswirkungen einer nicht fachgerechten Instandsetzung an modernen Fahrzeugkarosserien in Bezug auf einen möglichen Folgeschaden, Info-Nr. 02/09“.
Seitencrash rechts mal zwei
Zwar ist eine derartige Crashtest-Wieder-holung nicht neu, doch ermöglichen die Auswahl eines aktuellen Fahrzeugs und einer sensiblen Crashzone die Gewinnung eigenständiger und unmissverständlicher Erkenntnisse: Ein VW Passat Variant 3C (B6) wurde zweimal in Folge mit einem Seitencrash in Fahrtrichtung rechts be-aufschlagt, wobei man den ersten Seitenschaden vor dem zweiten Crash zwar mit anerkannten und nachvollziehbaren handwerklichen Methoden, jedoch ohne Bezug auf modellspezifische Instandsetzungs-vorgaben des Herstellers behoben hat.
Keine fachgerechte Instandsetzung
„Die Karosserie des aktuellen Passat ist durch den Einsatz einer Vielzahl an hoch- und höherfesten Stählen repräsentativ für moderne Pkw-Karosserien in Stahlbauweise und weist im Segment der Mittelklasse eine der höchsten Torsionssteifigkeiten von über 30.000 Nm/° auf“, weiß man beim KTI über den Probanden.
Bei Versuchsaufbau und -ablauf hielt sich das KTI an den Euro-NCAP-Test „Seitenaufprall“ gemäß den europäischen Richtlinien 96/27/EG und ECE-R95. Auf-prallgeschwindigkeit: 50±1 km/h. Alle pyrotechnischen Systeme waren aktiv.
Um trotz der Missachtung der modellspezifischen Instandsetzungsvorgaben des Herstellers reproduzierbar zu arbeiten, orientierte man sich an den Vorgaben zum Vorgängermodell B4, produziert bis 1997. Das hatte zur Folge, dass beispielsweise ein Punktschweißgerät älterer Generation mit maximalem Nennstrom von 6.400 Ampere und nicht einstellbarem Anpressdruck statt eines modernen Inverterschweißgeräts mit gut 10.000 Ampere Nennstrom und variablem Anpressdruck bis zehn bar verwendet wurde. Somit ist die Reparatur als nicht fachgerecht einzustufen.
Während des ersten Crashs lösten alle pyrotechnischen Sicherheitssysteme aus: Seitenairbag vorn/hinten, Windowbag sowie Gurtstraffer vorn links/rechts.
Karosserieschaden: Türen, Schweller und B-Säule im Bereich der Schwelleranbindung deformiert; der Stoßwagen drang 161 Millimeter in die Karosserie ein, wie eine elektronische Vermessung ergab.
Nach der Instandsetzung des beschädigten Passat B6 nach den Vorgaben des Passat B4 folgte unter identischen Bedingungen der zweite Seitencrash mit diesen Differenzen zum ersten Crash:
wesentlich umfangreichere Karosseriedeformation
insgesamt tiefer in das Fahrzeug ge-drückte B-Säule, Intrusion der Türen und des Sitzbereichs (reduzierter Überlebensraum, erhöhte biomechanische Belastungen des Beifahrers
Verschiebung mit starker Verwindung des Beifahrersitzes
Verformung des Mitteltunnels
Seitenairbag löste zwar aus, konnte sich jedoch nicht entfalten
Windowbag löste nicht aus
starke Wölbungen an Dachhaut und Mitteltunnel (veränderte Kraftableitung im zweiten Crash)
Windschutzscheibe unbeschädigt (auch ein Indiz für veränderte Lastpfade)
um 60 Millimeter tieferes Eindringen des Stoßwagens in die Karosserie
Auswirkungen an den Fügestellen
„Durch eine Unfallinstandsetzung dürfen Deformationsverhalten und somit Crashsicherheit des Fahrzeugs nicht beeinflusst werden“, stellt man beim KTI zu Recht fest. Doch genau das ist geschehen. Bedenklich: Die nicht fachgerechte erste Reparatur zeigte Auswirkungen an deren Fügestellen. An der Verbindung zwischen Schwellerverstärkung und Bodenblech hielten die Schweißpunkte der Belastung nicht stand und rissen aus. Ebenso die Schweißnaht zwischen B-Säule und innerem Schwellerblech, weil die Rückverformung die hochfesten Bleche in ihrem Gefüge veränderte. KTI-Fazit: „Nur eine Instandsetzung nach Herstellervorgaben kann als fachgerecht angesehen werden. Diese enthalten die anzuwendenden Füge-und Trennverfahren, mit denen gewährleistet ist, dass eine Instandsetzung keine Auswirkung auf Folgeschäden oder erhöhte Risiken bezüglich der Insassensicherheit hat.“ P. Diehl
- Ausgabe 2/2010 Seite 12 (385.6 KB, PDF)