Xpeng G9 Long Range RWD: Obacht, hier kommt was sehr Schnelles
Xpeng G9 Long Range RWD: Obacht, hier kommt was sehr Schnelles
05.11.2024 06:03 Uhr | Lesezeit: 5 min
Der Xpeng G9 ist in einem Punkt herausragend, in anderen prima und bei einigen ist Feinschliff nötig. Das 4,90-Meter-SUV beweist dennoch: bei den Chinesen geht was.
Europa schottet sich ab und erhebt Strafzölleauf chinesische Elektrofahrzeuge. Die Chinesen nehmen es mit Gelassenheit, wohl wissend, dass sie nicht gestern, nicht heute und nicht morgen mit ihren E-Autos Europa und vor allem Deutschland „überschwemmen“ müssen.
Sind bei vielen chinesischen Automobilen nach wie vor oft Defizite zu spüren, gibt es immer mehr die zeigen, dass China technologisch oft vor Europa ist – wenn auch nicht immer in erstrebenswerter Manier. Die ab und an noch nicht so perfekten Details spüren viele Autokäufer gar nicht – oder ignorieren sie.
Ein Kernelement, um in Deutschland erfolgreich(er) zu sein, ist und bleibt das Händlernetz. Bei uns will der Kunde noch zum Mercedes-Partner, Audi-Händler und „Subaru-Fritzen“ um die Ecke. Letzterer erledigt seinen Job bekanntlich oft hervorragend. Bei den Chinesen werden wilde Kooperationen mit Werkstattketten geschlossen und andere Lösungen gesucht, die Flottenkunden selten zufriedenstellen. MG zeigt, dass es mit eigenen Händlern für Chinesen gut laufen kann. Xpeng will das ebenfalls tun.
Das 2014 in Guangzhou gegründete Unternehmen hat in München sein Kompetenzzentrum für Europa und in Deutschland derzeit 20 eigene Händler. Das ist nicht genug und das weiß auch Xpeng, deren Name vom CEO, Xiaopeng He, stammt. Daher der Plan, weitere 100 in den kommenden zwei Jahren aufzubauen. So werden gerade auch zwei weitere Werke in Wuhan und Zhaoqing gebaut, die zusammen mit dem Werk am genannten Headquarter rund 600.000 Autos pro Jahr ermöglichen sollen. Ein Xpeng-Werk in Europa wird diskutiert.
Es ist also alles noch am Anfang, aber ambitioniert. Und genau dafür wirkt der Xpeng G9, den es neben dem Xpeng G6 und dem Xpeng P7 bei uns gibt, sehr fertig. Optisch bewegt das Elektro-SUV eher weniger. Glattgelutscht eckt es wortwörtlich nirgends an, begeistert aber auch nur vereinzelt.
Im Xpeng G9 gibt es Luxus zum klein(er)en Preis
Steigen wir ein – und merken beim Anlegen der Tür: Zuzieh-Automatik, und der Kenner schnalzt mit der Zunge. Gleiches gilt für den ersten Eindruck innen. Die Materialqualität liegt am obersten Ende der Möglichkeitsskala. Vor allem, wenn man für 3.960 Euro (brutto) das Premium-Paket geordert hat. Dann gibt es nicht nur sehr weiches Nappaleder (braun, schwarz oder grau), mit im Paket sind 22 Lautsprecher von Dynaudio – sensationell gut.
Die Sitze gehören auch dank Vielfach-Verstellung (elektrisch am Sitz) in alle Richtungen zu den bequemsten im Automobilbau. Sogar die Rücksitze lassen sich elektrisch justieren. Die Sitzposition hinter dem griffigen Volant ist indes nicht für jeden perfekt. Die Lenkradverstellung lässt sich nur kompliziert übers Infotainment-Menü aufrufen und über die Lenkradtasten verstellen. Gleiches beim Einstellen des Luftstroms der Klimaanlage. Aber das macht VW im ID.7 ebenso – warum auch immer. Fahrsicherheitsfördernd ist das Gesuche in den Menüs für solche Grundfunktionen nicht, da stets der Blick auf den Screen gelenkt wird.
Spiegelnd prangen drei riesige Displays vor den Frontinsassen. 10,25 Zoll und zweimal 15 Zoll messen die Bildschirme. Der Beifahrer kann über „seinen“ seine Temperatur verstellen (Fußkalt ist es im G9 dennoch immer) und für sein eigenes Entertainmentprogramm sorgen. Youtube, Spotify, „Amazon-alles“ und mehr können nach Anmelden mit dem Kundenkonto genutzt werden. Wer möchte, kann eine „Meditations-App“ starten und die Beine hochlegen.
Der Fahrer bekommt von all dem nichts mit und hat auch keinen Einblick auf die Displayinhalte vom Copiloten. Im Mittendisplay ballen sich Möglichkeiten, die wohl so ziemlich jeden Fahrer überfordern (können). Erschwert wird die Suche durch eine Schrift- und Icongröße, die trotz Größenverstellmöglichkeit stets (zu) klein bleiben – und dass, obwohl Platz auf dem Riesendisplay vorhanden wäre. Mit der Lupe kann man auch die Inhalte des Kombiinstruments suchen, die per se alle vorhanden sind (Gesamtkilometer, Verbrauch, Reichweite, Außentemperatur, Uhrzeit, …), sich aber eben nicht mit einem kurzen Blick zu erkennen geben. In der Mitte fährt zudem ständig der virtuelle G9 „mit“. Das ist unsinnig und ablenkend und doch kein Alleinstellungsmerkmal des Xpeng. Das macht Audi beim neuen A5 ebenfalls so.
Genial gelöst hat Xpeng den Shortcut zum Abstellen des Tempolimit-Warners. Fährt man „zu schnell“, poppt das Tempolimit oben links im Mitteldisplay auf. Drautouchen und es ist aus. Ebenso super: die Gesichtsüberwachung (Kamera in der A-Säule) ist sehr defensiv ausgelegt und piept fast nie. Einen weiteren Shortcut gibt es durchs „Herunterziehen“ am oberen Rand. Dahinter verbergen sich viele Icons, die in den Menüs nur umständlich zu finden sind, wie beispielsweise Spiegel- und Lenkradverstellung, Ladeklappe öffnen (elektrisch), Sitzheizung sowie Helligkeitsanpassung der Displays – ein Abschalten des Mitten-Displays ist nicht möglich und nachts für manch einen immer zu hell.
Dass beim „europäisierten“ Infotainmentsystem noch Luft ist, merkt man an der unzureichenden DAB-Empfangsqualität und dem kabelgebundenen Apple Carplay. Das eine will man, das andere nicht mehr. Zwei Handys können induktiv mit bis zu 50 Watt geladen werden. Rein mechanisch erfreut die von beiden Seiten zugängliche Mittelkonsole. Ernüchterung kommt beim Nutzen von XL-Kaffeebechern auf, die nicht in die XS-Halter passen.
Wo sind die Übersetzer?
Um die Benutzerfreundlichkeit des „Autos“ zu verbessern, wünscht sich Xpeng die Mithilfe der Kunden. Wer im Menü „Safety and Privacy“ den Schieberegler auf Grün setzt, sendet Zusatzdaten. Die Frage darf gestellt werden, ob ein Automobilhersteller diese Aufgabe nicht alleine sollte lösen können, ohne auf kostenfreie Mitarbeiter zu hoffen. Ein Anfang wäre in dieser Hinsicht gemacht, wenn die Übersetzungen der Funktionsbeschreibungen sauber gelungen wären. Gleiches gilt für die 351-Seiten-Bedienungsanleitung. Wer Lust hat, schaut auf der Xpeng-Homepage einfach mal rein. Denn, und das ist löblich, man findet diese dort einfach zum Download.
Ziehen wir den Schalthebel, wie bei Mercedes, nach unten und setzen den 2,2-Tonner in Bewegung. Was sofort auffällt: Der Wagen ist exzellent gedämmt. Sowohl Abrollgeräusche als auch Windgeräusche sind kaum wahrnehmbar, selbst bei Tempo 160. Und dass, obwohl weder Doppelverglasung noch Fensterrahmen an Bord sind, was im Sommer beim Aussteigen mit geöffneten Scheiben sehr stilvoll wirkt.
Perfekt motorisiert: Xpeng G9 Long Range
Mit 313 PS und 430 Newtonmeter ist der G9 perfekt motorisiert. Wer möchte, beschleunigt das SUV auf Tempo 200. Oft wird man das nicht tun. Zum einen flattert die Motorhaube ab 150 km/h und der Verbrauch „dreht durch“ – letzteres ist bei E-Autos oft so – und zum anderen liegt der G9 nicht so satt, wie man es erwartet hätte. Bis 140 km/h fühlen sich Motorhaube, Luftfahrwerk und Lenkung wohl und man wird mit 22 kWh im Sommer auskommen – zudem endet die ACC-Aktivität (Tempomat) bei 150 Sachen.
Der G9 ist auf Fahrkomfort ausgelegt. Das Plus an Komfort liegt zum Teil auch an der Bereifung. 255/55 R19 lautet die einzige Schuhgröße, die beim Testwagen der Pneuhersteller Maxxis beisteuerte. Erstaunlich, dass ein chinesischer Autobauer taiwanesische Reifen montiert, wenngleich diese Maxxis in China produziert wurden. So oder so ist das Grip-Niveau bescheiden und durchdrehende Hinterräder bei Nässe sind bis Tempo 70 reproduzierbar.
Xpeng G9 Long Range RWD
Testwagenpreis 67.560 € brutto E-Motor | Heckantrieb 230 kW/313 PS | 430 Nm 6,4 s | 200 km/h Akku 93,1 kWh (netto) WLTP-Reichweite 570 km Verbrauch 19,4 kWh/100km Laden AC 11 kW | DC 300 kW 800-Volt-Technologie Maße 4.891 x 1.937 x 1.680 mm Kofferraum 660–1.576 Liter (Heck) und 71 Liter (Frunk) Versicherungsklassen HK 22 | VK 30 | TK 27 Wartung 12 Monate/20.000 km Garantie 7 Jahre/160.000 km (Akku 8/160.000)
Schatten bei den Assistenzsystemen im Xpeng G9
Nachjustierung verlangen auch die Assistenzsysteme. So hat man mittlerweile (markenübergreifend) bei der Nutzung des Abstandstempomaten idealerweise den Fuß über dem Gaspedal, um eventuelle Phantombremsungen schnell und gefahrenfrei zu überstimmen. Wird im G9 das ACC bei normalen Überholvorgängen auf der Autobahn überstimmt, um flüssig im Verkehr mitzuschwimmen, ruckelt das SUV so lange, bis man wieder auf das eingestellte Tempo herunterkommt – das ist weder state oft he art noch benchmark. Ebenso besser geht die Kalibrierung des Spurhalteassistenten, dieser regelt grob und oft auch dann, wenn es nichts zu regeln gibt.
Dass beim G9 noch nicht alles Gold ist, was glänzt, merkt man auch beim Thema Licht. Matrix-Scheinwerfer sind in der Preisklasse eher gewöhnlich – nicht beim G9. Immerhin ist das Standard-LED-Licht fast streifenfrei und das Fernlicht außergewöhnlich stark, aber es kann eben nur an oder aus.
Kommen wir zu dem Punkt, bei dem der Xpeng G9 in der Preisklasse unangefochtener Meister ist: das Laden. Auf unseren gut 2.000 Kilometern mit dem Xpeng G9 suchten wir ausschließlich nach HPC, und zwar nur die mit 300 kW oder mehr. Warum? 318 kW zeigte der G9 als Maximum an. Noch beeindruckender ist die durchschnittliche Ladeleistung, die von SoC (Batteriestand) 10–80 Prozent bei mindestens 207 kW und maximal 221 kW lag. Bei einem SoC von 80 Prozent stehen noch immer 175 kW an. Der G9 füllt seinen 90-kWh-Akku mit einem Speed, dass Schnellfahren nicht zum Malus wird. Hinzu kommt der Aspekt, dass Batterien nicht noch größer werden müssen – Nio schwadronierte vor zwei Jahren bereits vom 150-kWh-Akku. 76 kWh beträgt der kleine beim G9. Allerdings schafft der offiziell „nur“ 260 kW. Daher empfehlen wir definitiv den gefahrenen 93er-Akku. Preispunkt bislang: 63.600 Euro. Mal sehen, was die Strafzölle „bringen“.
Die qualifizierte Meinung unserer Leser zu allen Branchenthemen ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie bei Ihren Kommentaren auf die Netiquette, um allen Teilnehmern eine angenehme Kommunikation zu ermöglichen. Vielen Dank!
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