Kurzfassung
Auch bei Elektro- und Hybridfahrzeugen muss alle zwei Jahre die Bremsflüssigkeit gewechselt werden. Aufgrund neuer Anforderungen der Stromer haben die Hersteller neue Bremsflüssigkeiten entwickelt.
Haben sich Werkstätten eben erst daran gewöhnt, dass für Elektro- und Hybridfahrzeuge vieles besonders ist, kommt jetzt als weiteres Unterscheidungsmerkmal zum konventionellen Verbrenner eine spezielle Bremsflüssigkeit hinzu. Das wirft sofort die Frage auf, warum diese notwendig ist. Untersuchungen von ATE (Continental) sowie Hella Pagid, dem Essener Bremssystemspezialist für den freien Teilemarkt und Gemeinschaftsunternehmen der Automobilzulieferer TMD Friction und Hella, haben ergeben, dass vor allem ein verbesserter Korrosionsschutz bei Elektrofahrzeugen notwendig ist.
Grund ist die Rekuperation moderner Elektro- und Hybridfahrzeuge. Bei dieser Bremsentechnologie wird ein Teil der Bremsleistung durch den Elektromotor, der dann als Generator wirkt, als Strom zur Batterie zurückgeführt. In Folge ist die konventionelle Bremsanlage seltener in Gebrauch und die Bremsflüssigkeit durch die geringere Benutzungsfrequenz der Bremsanlage weniger in Bewegung. Die macht den Bremskreislauf, wie Untersuchungen von Hella Pagid gezeigt haben, wiederum anfälliger für Korrosion, da aufgenommenes Wasser länger benötigt, sich mit dem gesamten Volumen der Bremsflüssigkeit zu verbinden. Punktuelle Korrosion ist die Folge. Die neue Bremsflüssigkeit beinhaltet deshalb Additive, welche diesen Korrosionsprozess maßgeblich verlangsamen sollen.
Temperaturbeständig
Ein weiterer Grund gemäß ATE und Hella Pagid, eine spezielle Bremsflüssigkeit einzusetzen, ist das Beschleunigungsvermögen der E-Fahrzeuge und damit hohe Geschwindigkeiten innerhalb kürzester Zeit zu erreichen. Um aus diesen Geschwindigkeiten schnell wieder zum Stillstand zu kommen, wird eine entsprechend hohe Bremsperformance benötigt. Damit die hierbei entstehenden hohen Temperaturen der Bremsanlage unbeschadet aufgenommen werden können, wird eine Bremsflüssigkeit mit sowohl hohem Trockensiedepunkt (nahezu wasserfrei: mindestens 260 Grad Celsius) als auch hohem Nasssiedepunkt (nach Wasseraufnahme am Ende des Lebenszyklus: rund 180 Grad Celsius) benötigt. Dies stellen, wie ATE und Hella Pagid bestätigen, die neu entwickelten E-Fahrzeug-Bremsflüssigkeiten jederzeit sicher.
Eine ebenfalls wichtige Eigenschaft, die konventionelle Bremsflüssigkeiten nicht in diesem Maße aufweisen, ist eine möglichst niedrige Strom-Leitfähigkeit. Sollten nämlich elektrische Systeme in der Nähe des Bremssystems beschädigt sein, darf die Bremsflüssigkeit keinesfalls Ströme weiterleiten können.
Niedrige Viskosität
Damit ABS, ESP und andere Systeme sicher und zuverlässig funktionieren, muss die Bremsflüssigkeit in der Lage sein, in Sekundenbruchteilen durch die Bremshydraulikaggregate zu fließen. Dies leisten heute nur niedrigviskose Bremsflüssigkeiten. Hier gilt die einfache Gleichung: Je niedriger die Viskosität der Bremsflüssigkeit, desto schneller die Übertragungsgeschwindigkeit der Bremsimpulse im Bremssystem. Bei E- und Hybridfahrzeugen kommen neben der Fahrzeugdynamik auch höhere Fahrzeuggewichte dazu. Dies bewirkt, dass Fahrerassistenzsysteme wie ABS oder ESP dort auch öfters aktiv sind.
Bremsflüssigkeiten für diese Fahrzeuge benötigen daher ein verbessertes Fließverhalten - auch bei sehr tiefen Bremssystem-Temperaturen. Die neuen Bremsflüssigkeiten von Hella Pagid (DOT 5.1 EH) und ATE (ATE Super DOT 5.1) sollen deshalb eine kinematische Viskosität von maximal 750 mm²/s bei minus 40 Grad aufweisen. Zum Vergleich: Eine Standard-Bremsflüssigkeit DOT 4 hat eine Viskosität von 1500 mm²/s.
Die Argumente, eine spezielle Bremsflüssigkeit für E- und Hybridfahrzeuge einzusetzen, sind stichhaltig. Dennoch werden noch von keinem Fahrzeughersteller derartige Bremsflüssigkeiten serienmäßig eingesetzt. Wann diese tatsächlich kommen sollen, ist noch offen. Dennoch arbeitet Hella Pagid derzeit mit Hochdruck an der Marktreife einer solchen E-Bremsflüssigkeit. Sie soll, wie Unternehmenssprecher Timo Krämer bestätigt, sehr zeitnah in den Markt kommen. Bei ATE (Continental) hat man sich hingegen entschieden, im Markt eine DOT- 5.1-Flüssigkeit für Fahrzeuge mit herkömmlichem Antriebskonzept und für EHV-Fahrzeuge (Electric Hybrid Vehicles) anzubieten.
Natürlich stellt sich hier die Frage, was eine solche Spezial-Bremsflüssigkeit kosten soll. Hella Pagid prognostiziert eine Kostensteigerung von gut einem Viertel gegenüber einer herkömmlichen Bremsflüssigkeit. Hierin ist sicherlich auch der Grund zu sehen, weshalb Fahrzeughersteller noch nicht auf diese Flüssigkeiten umgestellt haben. Beim Wechselintervall soll sich jedoch nichts ändern. Es bleibt bei zwei Jahren.
Die Herstellerangabe zählt
Wenn diese Flüssigkeiten auf den Markt kommen, stellt sich für alle Werkstätten die Frage, ob sie bei einem Bremsflüssigkeitswechsel zur Anwendung kommen dürfen. Die Antwort darauf ist einfach: So lange es keine Freigabe vom Fahrzeughersteller gibt, nicht. Auch wenn Hella Pagid betont, dass sich 5.1 EH bedenkenlos mit den gängigen Bremsflüssigkeiten DOT 3, DOT 4, DOT 4 LV, DOT 5.1 und DOT 5.1 LV mischen lässt. Nach wie vor gilt daher, dass vor einem Bremsflüssigkeitswechsel bei Elektro- und Hybridfahrzeugen der Hinweis auf dem Deckel des Bremsflüssigkeitsbehälters oder der in der Bedienungsanleitung des Fahrzeugs verbindlich zu beachten ist. Bei diesen Fahrzeugen sind das ohnehin häufig Bremsflüssigkeiten mit hohem Nasssiedepunkt, also alle modernen DOT-5.1-Bremsflüssigkeiten. Sie kombinieren einen hohen Nasssiedepunkt von 180 Grad Celsius mit hervorragenden Viskositätswerten, die zumeist sogar die Anforderungen für Bremsflüssigkeiten der Klasse DOT 5.1 übertreffen.
- Ausgabe 12/2021 S.24 (209.5 KB, PDF)