Kurzfassung
In den Werkstätten wird wieder deutlich mehr repariert - weil es für Neufahrzeuge lange Lieferzeiten gibt. Also wird eher Altes wieder flottgemacht. Dazu muss man aber über fundierte Kenntnisse verfügen.
Seit Corona, aber spätestens mit dem Ukraine-Krieg, hat sich die Situation für viele Werkstätten drastisch geändert. "Brachten noch im Jahr 2019 Halter ihre älteren Fahrzeuge für Service und Reparatur in die Werkstatt, wenn es gar nicht mehr anders ging, hat sich dies heute spürbar verändert", so Tomasz Theiler, Mit-Geschäftsführer der R&R Fahrzeugtechnik GmbH westlich von München. "Heute wollen viele ihr Fahrzeug wieder auf Vordermann bringen, weil Neuwagen aufgrund gestörter Lieferketten sehr lange Wartezeiten haben und entsprechend der Markt für junge Gebrauchte auch bereits leergefegt ist. Auch die Preise älterer Gebrauchter gehen mittlerweile durch die Decke."
Gemessen an den Gebrauchtwagenpreisen lohnt es sich daher wieder, Geld in ältere Fahrzeuge zu investieren. Zwei Intentionen stehen dahinter: Entweder man möchte seinen Wagen noch länger fahren, weil Neu- und junge Gebrauchtwagen schlicht zu teuer sind, oder man möchte noch einen möglichst großen Gewinn mit seinem alten Wagen erzielen, um einen neueren finanzieren zu können. Und das geht bekanntlich mit einem technisch einwandfreien Fahrzeug am besten. Über diese Entwicklung könnten sich freie Werkstätten freuen, da hier hauptsächlich Halter von Fahrzeugen, die älter als fünf Jahre sind, Service- und Reparaturarbeiten durchführen lassen. Doch zwei Gründe verhindern, dass diese Entwicklung zu einer guten Auftragslage in den Werkstätten führt: gestörte Lieferketten und der Fachkräftemangel. "Den Negativtrend beim Fachkräftemangel beobachten wir bereits seit gut 15 Jahren", so Theiler. "Wir haben daher schon vor langer Zeit das Sozialprojekt 'Starthilfe' ins Leben gerufen, bei dem wir gescheiterten Jugendlichen zum Schul- und Berufsabschluss verhelfen und auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Nebenbei bekommen wir so auch regelmäßig hoch motivierte Fachkräfte!"
Fehlendes Wissen
Dem Ersatzteilmangel begegnen viele Werkstätten mit der klassischen Reparatur. Vor allem der Mangel bei Karosserieteilen kann so aufgefangen werden. Doch auch hier stoßen einige Kfz-Betriebe sehr schnell an ihre Grenzen. "Heutzutage können nur noch wenige Kfz-Profis mit dem Schweißgerät umgehen", so Stefan Bader, der im K+L-Fachbetrieb Gambs in Norden von München die Abteilung Instandsetzung leitet. "Bei der Reform des Kfz-Mechaniker-Lehrplans 2003, aus dem schließlich der Kfz-Mechatroniker hervorging, hat man kurzerhand das Schweißen aus dem Lehrplan gestrichen." Dies blieb so lange unbemerkt, solange es noch genug Kfz-Mechaniker gab. Jetzt aber gehen viele dieser "Alt-Mechaniker" in Rente. Wenn dann, wie jetzt, wieder der Trend zur klassischen (Karosserie-)Reparatur einsetzt, weil Blechteile schlicht nicht lieferbar sind, wird ein solcher fachlicher Mangel besonders ersichtlich.
Klassische Reparatur
In vielen freien, aber auch Marken-Werkstätten ist daher ein (noch) leichter Trend hin zum Erlernen alter Handwerksmethoden wie Schweißen, Löten, Spenglern, aber auch "analoge" Fehleranalyse zu spüren. "Hier sind vor allem Oldtimer-Fachbetriebe klar im Vorteil", erklärt Bader, "da dort diese Kenntnisse von jeher gepflegt werden, denn die klassische Reparatur, also die Aufarbeitung verschlissener oder defekter Teile, ist oft die einzige Möglichkeit, die Fahrfähigkeit eines Fahrzeugs wiederherzustellen." Dass diese Kenntnisse plötzlich wieder für moderne Fahrzeuge vonnutzen sein könnten, hätte vor wenigen Jahren niemand geglaubt.
Der Trend hin zur Reparatur wird aber auch getragen von einem neuen Umweltbewusstsein vor allem in jüngeren Gesellschaftsschichten. Hier geht es in erster Linie um Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit, weniger um Kosteneinsparung oder Ersatz ausbleibender Ersatzteile. Vielmehr ist dieser Trend eine mittelbare Folge des als "Recht auf Reparatur" bezeichneten Zusatzes der Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG), die seit 1. März in den gesamten 27 EU-Staaten in Kraft getreten ist. Diese Richtlinie ist Teil eines größeren Projekts zur Reduzierung der Umweltbelastung durch langlebige und energieverbrauchsrelevante Produkte und betrifft in erster Linie Kühlschränke, Waschmaschinen, Haartrockner oder Fernseher, die in der Europäischen Union verkauft werden. Hersteller müssen sicherstellen, dass diese Geräte bis zu zehn Jahre nach ihrem Verkauf repariert werden können. Damit soll der riesige Berg an Elektroschrott reduziert werden. Dass dieser Trend bereits auch im Automobilbereich angekommen ist, zeigen beispielsweise prosperierende Firmen wie EPS Elektronik, Glaubitz oder RH-Electronics. Diese Firmen sind allesamt auf die Reparatur elektronischer Komponenten von Kfz spezialisiert und mittlerweile eine feste Größe bei vielen Werkstätten.
Die Digitalisierung der Werkstatt ist hingegen schon lange kein Trend mehr, sondern vielmehr bereits gelebter Alltag. Hochleistungs-Datenübertragung in Echtzeit zwischen Fahrzeug und Servicemechatroniker und demnächst KI-geführte Fehleranalyse sind bestehende bzw. absehbare Entwicklungen. Doch hier ist auch ein Trend zu spüren, an den vor Corona kaum jemand gedacht hat. "Wir setzen bei der Fehlersuche wieder verstärkt das Oszilloskop ein, um elektrische Signale sichtbar zu machen", so Theiler. "So können wir zum Beispiel bei sporadischen Signalfehlern, wie sie bei ABS-Sensoren auftreten können, mithilfe von einem Oszilloskop Signalverläufe als Graph am Monitor beobachten und genau analysieren." Bei R&R wird daher bei der Lehrlingsausbildung jetzt wieder verstärkt, neben der Ausbildung am Multimeter, auch der Umgang mit dem Oszilloskop vermittelt. Theiler weiß, dass es die Mischung macht: "In der heutigen Situation sind alte Handwerkstechniken - die alten wie die neuen - gefragt. Nur wer sie alle gleichermaßen gut beherrscht, wird seine Werkstatt ohne größere Probleme in die Zukunft führen können."
- Ausgabe 11/2022 S.36 (141.8 KB, PDF)