Soziales Engagement
Gemeinnützige Betriebe treten an, um gebrochene Biografien zu reparieren. Ziel ist die Unterstützung von Menschen in Schwierigkeiten. Kofinanziert werden sie dabei u.a. von Sozialverbänden und Sponsoren. Es geht aber nicht um Sozialromantik, die abgelieferte Qualität muss stimmen.
Die deutsche Wirtschaft, gleich ob Industrie, Dienstleistungsbranche oder Handwerk, durchforstet die Bewerbungsunterlagen stets nach motivierten Jobanwärtern mit vorzeigbaren Noten. „Handwerksbetriebe locken mit Karriereperspektiven: Duales Studium oder gar triales Studium werden mittlerweile für besonders ehrgeizige Jugendliche angeboten – also die Ausbildung zum Gesellen und gleichzeitigem Bachelorabschluss bzw. zusätzlichem Meisterbrief“, erklärte Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, kürzlich bei einer Veranstaltung anlässlich des „Aktionstags der Ausbildung“ am 7. Mai in Essen: Ehrgeiz, Leistungsbereitschaft und Aufstiegschancen – diese Schlagworte ließen sich die anwesenden Medienvertreter gerne in ihre Notizblöcke bzw. Aufnahmegeräte diktieren. Wer sich dagegen für die Leistungsschwächeren stark macht, der findet bei Medienvertretern und Leserschaft weit seltener Gehör.
Rebellen mit Charakter
Diese Erfahrung dürften auch die Verantwortlichen des Werkstattprojekts Cleveland Streetwork Kustomz (CSK) aus der Nähe von Kleve in Nordrhein-Westfalen gemacht haben. Laut Satzung ist der im Aufbau befindliche Verein überparteilich, überkonfessionell, professionell und rebellisch. So steht es jedenfalls in den eigenen Statuten: Gerade der letzte Zusatz ist für jeden offensichtlich, der die beiden Vorsitzenden Frank Sommer und Sabine Küsters trifft: Beide sind stark tätowiert, pflegen einen ausgefallenen Rockabilly-Stil und leben ihre Passion für PS-starke Kisten. Damit besetzen sie zwar in gewisser Weise eine gesellschaftliche Nische, die aus dem Blickwinkel der bürgerlichen Mitte seltsam anmutet. Aber im Umgang mit jungen Erwachsenen, die viele gesellschaftliche Regeln missachten und Autoritäten misstrauisch begegnen, ist dieses Auftreten gewiss ein Pluspunkt.
Denn darum geht es bei den betrachteten gemeinnützigen Unternehmen und Vereinen: Durch die Verknüpfung von Schrauberhandwerk und sozialem Engagement möchten sie Personen mit – wie es mitunter verklausuliert heißt – „multiplen Vermittlungshemmnissen“ beschäftigen, begeistern und im Idealfall eine Ausbildung zuteilwerden lassen. Die Beschäftigungsbremsen rühren entweder aus einer Suchtproblematik, Kriminalität, Verhaltensstörungen oder einer Lernschwäche. Teilweise auch von allem etwas. Viele Betroffene sind Schulabbrecher. Der Studie „Jugendliche ohne Hauptschulabschluss“ des Bildungswissenschaftlers Klaus Klemm aus dem Jahr 2010 zufolge lag deren Quote 2008 bei 7,5 Prozent. In Nordrhein-Westfalen lag der Anteil bei 6,8 Prozent. Im Kreis Kleve verlassen laut Untersuchung 8,2 Prozent derselben Altersgruppe die Schule ohne zumindest einen qualifizierenden Hauptschulabschluss zu machen.
An der Zukunft schrauben
In München fällt die Rate noch ein wenig ungünstiger aus: Gemäß der Berechnungen von Professor Klemm kam die bayerische Landeshauptstadt vor vier Jahren auf einen Anteil von 8,6 Prozent. Die Erfahrung schulischen Scheiterns machen mehrheitlich Jungen. Peter Hutzelmann, Geschäftsführer der A24 GmbH, schätzt das Geschlechterverhältnis in München auf 7:3. Auf diesen Wert kommt der pensionierte Siemens-Mitarbeiter aufgrund seiner Erfahrungen in den vergangenen Jahren als Unternehmensberater im gemeinnützigen Bereich. Derzeit leitet er die eigenen Angaben zufolge größte markenfreie Kfz- und Zweiradwerkstatt im Raum München als Interimsmanager.
„Wir beschäftigen zur Zeit 115 Jugendliche und ca. 40 Erwachsene, die als so genannte ‚Benachteiligte‘ am Ersten Arbeitsmarkt keine Chancen hätten“, erklärt Hutzelmann. Das Unternehmensziel ist im Jahresbericht zu lesen, den A24 im vergangenen Jahr zum ersten Mal veröffentlichte: „Ziel unserer Arbeit ist neben der Reparatur und Wartung von Fahrzeugen und dem Erbringen von erstklassigen handwerklichen Leistungen die Förderung der sozialen und beruflichen Integration von benachteiligten Menschen.“ Hutzelmann präzisiert: „Wir arbeiten an konkreten Kundenaufträgen und begleiten unsere Mitarbeiter sowohl handwerklich mit Meister und Gesellen, aber auch mit angestellten Sozialpädagogen und Nachhilfelehrern.“ In Obersendling sorgen 38 festangestellte Fachkräfte für Struktur, Lehre und in gewisser Weise Seelenheil der 155 Teilnehmer. Darunter sind 13 Meister aus den Bereichen Kfz-Technik, Karosserieinstandsetzung sowie Fahrzeuglackierung. Den zweitgrößten Anteil machen zehn Sozialpädagogen aus. Zusätzlich sind zwei Lehrkräfte angestellt, die bei Problemen in der Berufsschule oder beim Versuch den Qualifizierenden Hauptschulabschluss nachzumachen helfen. Von den bei A24 beschäftigten Gesellen sind einige vormals Langzeitarbeitslose, die von der Arbeitsagentur vermittelt wurden.
Wettbewerb um Sozialausgaben
Nach Angaben der Münchner Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsförderungsinitiativen (MAG AFI) gibt es im Raum München neben derA24 GmbH 39 weitere soziale Betriebe, die sich der „Förderung der sozialen, beruflichen und allgemeinen Bildung von benachteiligten und von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen“ verschrieben hat, wie es in einer Info-Broschüre heißt. Insgesamt gibt es zwei Kfz-Servicebetriebe mit Pkw-Spezialisierung und vier Zweirad-Betriebe an der Isar. Laut Peter Hutzelmann bewirken sinkende Sozialausgaben einen stetig abnehmenden Kuchen. „Zur Zeit werden noch über 70 Prozent der Kosten durch öffentliche Zuschussgeber getragen. Diese Träger, unter anderen die Agentur für Arbeit oder die Sozialreferate der Stadt München reduzieren diese Fördermittel aber beständig.“ Mit den insgesamt 16 Hebebühnen zählenden Werkstätten erwirtschaftete A24 im Jahr 2010 einen Umsatz von fast 900.000 Euro. Hinzu kamen 120.000 Euro durch Spenden oder sonstige Einnahmen, beispielsweise den Verkauf von instandgesetzten Fahrrädern. Die von Stadt, Land und Arbeitsagentur bereitgestellten Gelder beliefen sich laut Jahresbericht auf etwas mehr als 3 Mio. Euro. Bei den Fördermitteln handelt es sich mehrheitlich um Eingliederungszuschüsse. Diese werden beispielsweise von den Arbeitsagenturen bei der Einstellung förderungsbedürftiger Arbeitsloser gewährt. Dadurch sollen den Unternehmern die eventuellen Minderleistungen des Arbeitnehmers ersetzt werden. Hutzelmann befürchtet für sein Unternehmen einen Abschlag von mehreren 100.000 Euro. Da den Gesamteinnahmen von 4,2 Mio. Euro im Geschäftsjahr 2010 aber Aufwendungen von 4,1 Mio. gegenüberstanden, fürchtet er drohende Restrukturierungsmaßnahmen.
Die angeführten Kürzungen sind weder nachvollziehbar, noch ersichtlich: Einmal geht es Städten und Kommunen wieder besser: Durch höhere Steuereinnahmen und Entlastungen seitens des Bundes verringerte sich das kommunale Defizit von 8,8 Mrd. Euro im Jahr 2010 auf 2,9 Mrd. Euro zum Dezember 2011. Darüber hinaus stiegen die Sozialausgaben der Kommunen insgesamt sogar an. Ursächlich dürften demnach interne Umschichtungen sein. Es gibt offenbar eine Zunahme an Empfängern. Da passt es auch, dass der Geschäftsführer auf die Frage, ob es nicht Konkurrenzdenken von Seiten anderer Kfz-Unternehmer gibt, sofort abwinkt. Die Servicebetriebe respektierten die soziale Arbeit von A24. Vielmehr gebe es aus seiner Sicht Neider aus den Reihen der anderen gemeinnützigen Betriebe. Wesentlich kleinere Brötchen im Vergleich zu A24 backt Markus Sansa in Kehl bei Straßburg. Er erwirtschaftet mit Oldtimer-Restaurierungen und dem Bereich K&L rund 250.000 Euro Umsatz pro Jahr. Trotz gut dotierten Aufträgen, arbeitet sein Verein „Riverside Kustomz“ im defizitären Bereich. Gestartet war der ausgebildete Jugend- und Heilerzieher bereits lange vor der Vereinsgründung im Jahr 2007. Er war damals als Schulsozialarbeiter an einer Förderschule tätig und merkte, dass sich schwererziehbare Jugendliche für die Restaurierungsarbeiten an seinem 1951 Chevrolet Bel Air begeistern konnten. Dieser Tätigkeit konnten sie etwas abgewinnen, damit konnte man ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Zudem erkannte Sansa, dass einige lernschwache Jugendliche, die im Schulsystem versagten, in diesem Bereich ihre handwerkliche Begabung zutage fördern konnten. Mittlerweile beschäftigt Riverside Kustomz 18 Personen, darunter auch einen festangestellten Fahrzeuglackier-Meister und hat daher die Ausbildungsberechtigung. Unterstützung findet Riverside bei Werkstattausrüstern wie der ebenfalls in Kehl ansässigen Nussbaum-Gruppe. Der Hersteller spendierte Markus Sansa zwei Bühnen als Startkapital. Riverside Kus-tomz unterstützt die Jugendlichen über die Berufs- und Lebenspraxis hinaus. Auch in der Theorie gibt es Nachhilfe: „Durch die stundenweise Anstellung einer Lehrerin ist es uns gelungen, den Lehrlingen im theoretischen Teil ihrer Ausbildung Unterstützungsangebote zu geben“, heißt es bei Riverside. Jugendlichen, die z.B. aus einer Förderschule kommen, haben Schwierigkeiten in der Gewerbeschule sowie bei der Gesellenprüfung. Förderlich wäre z.B. das Weiterbestehen des Ausbildungsprogramms zum Servicemechaniker, da es besonders lernschwachen oder schwer vermittelbaren Jugendlichen eine Job- und damit Lebensperspektive geben kann, erklärte Frank Sommer. Nach Angaben des ZDK bildete das Gewerbe 2010 noch 3.250 Servicemechaniker aus. In Zeiten des Fachkräftemangels kommt einer unvoreingenommenen Nachwuchsförderung eine besondere Rolle zu. Dazu gehört es auch, eine zweite Chance zu geben. Das weiß auch Bundesinnungsmeister Wilhelm Hülsdonk vom ZDK und erklärte zum „Aktionstag der Ausbildung“: „Ganz gleich, woher du kommst, wichtig ist, wohin du willst.“ Martin Schachtner
Riverside Kustomz e.V.
Zukunft sichern
Das Team um Markus Sansa (Bild rechts) hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit jugendlichen Langzeitarbeitslosen sowie Schulverweigerern aus dem Ortenaukreis im Südwesten Deutschlands Umbauten und Veredelungen an Oldtimern vorzunehmen. Zarte Blüten trieb das Projekt bereits 2003, als der ausgebildete Jugend- und Heilerzieher in seiner Funktion als Schulsozialarbeiter einem Jugendlichen das Einmaleins des Restaurierens beibrachte. Da diese Tätigkeit schnell auf großes Interesse aus dem weiteren Betreutenkreis stieß, wurde klar, dass es sich gut für Integrationsmaßnahmen eignet. 2007 gründete Sansa einen Verein, den er nebenberuflich führte. Seit 2009 kümmert er sich schwerpunktmäßig um Fahrzeugrestaurierungen. Vor Kurzem kam der Bereich „Farbe bekennen“ dazu, wodurch eine Erweiterung um Karosserie- und Lackarbeiten möglich ist. Neben Markus Sansa, der als Vorstand fungiert und für den Bereich Sozialarbeit verantwortlich ist, gehören Oliver Wagner als Fahrzeuglackier-Meister und Christian Förderer als Geselle zum festen Mitarbeiterstamm.
A24 GmbH
Sozialer Antrieb
Die A24 GmbH ist ein gemeinnütziger Betrieb im Bereich Zweirad- und Pkw-Service, der sich soziale Verantwortung gegenüber potenziellen Auszubildenden und Mitarbeitern aus dem so genannten „Zweiten Arbeitsmarkt“ als hauptsächliches Geschäftsziel auf die Fahnen geschrieben hat. Mit einer Beschäftigtenzahl von über 150 Mitarbeitern ist das Unternehmen eigenen Angaben zufolge der größte markenfreie Kfz- und Zweiradreparaturbetrieb im Raum München. Die Ausbildungsfelder der Münchener sind Fahrzeugpfleger, Fahrradmonteur, Zweiradmechaniker, Kfz-Mechatroniker, Kfz-Servicemechaniker, Karosserie- und Fahrzeugbau-Mechaniker, Kfz-Lackierer sowie kaufmännische Berufe. Laut Geschäftsführer Peter Hutzelmann (Bild) sind derzeit 115 Jugendliche und rund 40 Erwachsene bei A24 angestellt. Alle hätten auf dem nicht subventionierten Arbeitsmarkt wenige Chancen. A24 ist Teil des Vereins „Spectrum Arbeit Beruf Soziales“, der beispielsweise die regionalen Projekte „Stattauto“, „Ökomobil“ und „Stadtwerkeprojekt“ verantwortet.
Cleveland Streetwork Kustomz e.V.
Aufbauarbeit
Der Leitspruch „Roots, Rules and Respect“, des Vereins „Cleveland Streetwork Kus-tomz“ aus Goch im Klever Land macht deutlich, worum es den beiden Vorsitzenden Frank Sommer (1. Vorsitzender, im Bild rechts) und Sabine Küsters (2. Vorsitzende, im Bild links) geht: Problembehafteten Jugendlichen sollen Stabilität geboten und Regeln nähergebracht werden, damit die Gesellschaft diese wieder ein Stück weit respektiert – und natürlich umgekehrt. Frank Sommer ist gelernter Kfz-Mechaniker und hat gleichzeitig eine sozialpädagogische Ausbildung. Ideale Bedingungen für die Jugendarbeit am Fahrzeug. Begonnen hat alles mit einem Praktikum bei Markus Sansa in Kehl: Der Verein wurde anschließend im April 2010 gegründet und umfasst aktuell 25 Mitglieder. Alles ist aber noch im Aufbau begriffen. Durch Spenden und kommunale Unterstützung verfügt CSK über eine Werkstatthalle mitsamt Hebebühne auf einem ehemaligen Militärgelände. Die Anerkennung zum freien Jugendträger steht aber noch aus und daran hängen letztlich die Zuschüsse von Bund, Land und/oder Kommune.
- Ausgabe 5/2012 Seite 68 (683.0 KB, PDF)