Von Wolfram Nickel/SP-X
Mit diesem Auto wurde Fiat vor 50 Jahren die Nummer eins in Europa. "Volltreffer gegen Konkurrenten" und "Europas neuer Star" bejubelte die Presse den viertürigen Fiat 124, der 1966 in schlichter Pontonform parallel Kompakt- und Mittelklassemodelle ins Visier nahm und auf Anhieb mit dem Medienpreis "Auto des Jahres" dekoriert wurde. Ein Jahr später gab es den 4,03 Meter kurzen Fiat bereits in einer großen Familie mit den neuen Varianten Kombi, Coupé und Spider und nach oben ergänzt durch die 4,22 Meter lange Limousine Fiat 125 in gleichermaßen sachlich-elegantem Design.
Vor allem aber machte der Fiat 124 ein italienisches Miracolo Economico möglich, genau als das deutsche Wirtschaftswunder mit einer Absatzflaute zu Ende ging. So feierte der Fiat-Konzern 1967 ein Rekordjahr, in dem die Turiner sogar Volkswagen überholten und zur Nummer vier in der Welt aufstiegen hinter den Detroiter Champions GM, Ford und Chrysler. Zum eigentlichen Schlag gegen Amerikaner und Volkswagen holte der Fiat 124 aber erst 1970 aus: In jenem Jahr liefen in Togliattigrad die ersten Lada als Lizenzausgaben vom Band. Russische Volksfahrzeuge, von denen in 42 Jahren fast 18 Millionen Einheiten verkauft wurden. Hinzu kamen spanische Seat, koreanische Asia, indische Premier, türkische Tofas und viele andere Lizenzproduktionen. Tatsächlich ist der Fiat 124 nach dem VW Käfer das meistproduzierte Fahrzeug aller Zeiten in weitgehend unveränderter Grundform.
Am Anfang machte sich Europas Mittelklasse noch lustig und verspottete den kompakt dimensionierten, designierten Stückzahlen-Giganten als typischen Turiner Kleinwagen. Immerhin war der Fiat 124 kürzer als ein Opel Kadett oder VW Käfer. In einer Ära, die größer mit besser gleichsetzte, irritierte der 44 kW / 60 PS starke Italiener durch kärgliche 1,2 Liter Hubraum. Schließlich fuhren alle anderen Familienautos der 60-PS-Liga mit deutlich stattlicheren Hubraumformaten vor, wie Opel Rekord und VW 1600 zeigten. Wollte etwa Fiat seinen Ruf als Hersteller anspruchsvoller Sportlimousinen verspielen? Immerhin galten die Vorgänger des Fiat 124, die leistungsstarken Typen 1300/1500 im Trapezliniendesign, als bezahlbare Traumwagen der aufstrebenden Mittelschicht.
Sein Potenzial erkannten Fachmedien
Dass Mittelklasse nicht Mittelmaß bedeuten muss, bewies die neue Stufenhecklimousine 124 trotzdem. Trieb sie doch die Internationalisierung des italienischen Industriegiganten Fiat voran und dazu passten nur Linien und Technik, die zeitlos und schlicht waren. Das Potenzial der neuen Macchina für die Massen erkannten zuerst Fachmedien, die den 124 ob seiner drehfreudigen, zuverlässigen Vierzylinder und der souveränen Fahreigenschaften mit Auszeichnungen überschütteten. Dabei hatte Fiat sogar auf das eigentlich allgemein erwartete und für den 124 fertig entwickelte Frontantriebslayout verzichtet. Dafür wurde der Viertürer mit Hinterradantrieb und hinterer Starrachse in Schwellenländern schon zum Weltauto, als dieser Begriff noch nicht erfunden war.
Denn 1966 schloss Fiat ein Kooperationsabkommen mit der sowjetischen Regierung über den Bau eines Automobilwerks an der Wolga mit einem Ausstoß von jährlich mindestens 600.000 Pkw. Die Geburtsstunde der Lada-Modelle, mit denen die Massenmotorisierung nach Russland kam. Obwohl dieser Ost-West-Deal damals politisch umstritten war, schadete er dem Image von Fiat nicht und die Marke erlebte ein Allzeithoch, das sie kurzzeitig sogar zum weltweit drittgrößten Autobauer machte. Möglich machten das in der Mittelklasse die überaus preiswerten Modelle 124 und der etwas größere 125, die mit temperamentvollen Fahrleistungen die linken Spuren der Autostrade und Autobahnen aufmischten.
In Deutschland konnte Fiat dank der Zugkraft der Novitäten erstmals über 100.000 Autos im Jahr verkaufen und manche Fiat-Händler gewannen so viele Neukunden, dass sie sich weigerten, deutsche Modelle wie den VW 1500/1600 in Zahlung zu nehmen. Tatsächlich kostete der 140 km/h schnelle Fiat 124 im Modelljahr 1967 nur 6.290 Mark, vergleichbare teutonische Limousinen bis zu einem Drittel mehr. Zur Attraktion wurde das 124-Modellprogramm aber auch durch Sportler. Da gab es zum einen den 124 Sport Spider als Inkarnation der Bella Macchina für die Sonnenseite des Lebens und zum anderen das ebenso formschöne wie exklusive 124 Sport Coupé. Schließlich noch den Extremsportler 124 Spider Abarth, der Fiat in die Rallyemeisterschaft einführte und sogar gegenüber dem vorderradangetriebenen Lancia Fulvia die Fiat-Fahne hochhielt.
Zwei Autos für die Ewigkeit
Während die Linien des 124 Sport Coupé im hauseigenen Centro Stile gezeichnet wurden, entstand der offene 124 Sport Spider in der Carrozzeria Pininfarina. Genau wie dem fast zeitgleich eingeführten Alfa Romeo Spider gelang auch dem Fiat Spider der Sprung nach Nordamerika. Zwei Autos für die Ewigkeit, zunächst als meistverkaufte italienische Spider aller Zeiten, dann mit einer Karriere als Klassiker. So setzte der 124 Spider seine Erfolgsgeschichte auch nach dem 1975 verfügten Aus für Fiat 124 Limousine, Kombi und Coupé fort. Zuletzt brachte der Zweisitzer als Pininfarina Spidereuropa die Cabrioszene der 1980er Jahre in Schwung und ist heute Namenspate für die Neuauflage des Fiat 124 Spider.
In einer großen Kundenbefragung kristallisierten sich 1967 die Qualitäten Komfort und Fahrleistungen als wichtigste Kaufgründe für Fiat heraus. Die Italiener reagierten darauf sofort mit scharfen 124 Special-Versionen. Den Anfang machte im November 1968 der 51 kW / 70 PS starke 124 Special mit markanten Doppelscheinwerfern für mehr Überholprestige. Drei Jahre später folgte der auf 59 kW / 80 PS gesteigerte 124 Special T, der sogar dem BMW 1602 sein Endrohr zeigte. Den Leistungszenit setzte aber die T-Version mit 1,6-Liter-Triebwerk aus dem Fiat 132, das 70 kW / 95 PS freisetzte. Damit konnte es der leichtgewichtige Fiat 124 endlich auch mit allen Alfa Giulia aufnehmen. Nur einen Kampf verloren die Fiat der frühen 1970er Jahre: Der Rost ließ sie in Rekordtempo sterben.
Auch Lada waren davon betroffen, immerhin war die Blechstärke der Lada-Karosserien deutlich erhöht, das Fahrwerk mit mehr Bodenfreiheit ausgestattet und die Lebensdauer der Motoren bis zur ersten Generalüberholung auf damals stolze 200.000 Kilometer ausgelegt. Was den Russen, aber auch den in der Türkei sowie in Bulgarien, Polen, Ägypten und Korea gebauten Lizenzen fehlte, war das Temperament des Original-Fiat. Dieses bot nur der 1968 vorgestellte spanische Verwandte. Dank zahlreicher Sporteinsätze genossen diese unter den Typbezeichnungen Seat 124 und Seat 1430 gebauten Limousinen das sportliche Image von Alfa Giulia und Lancia Fulvia. Zu einer zweiten Karriere startete der Seat 124 übrigens im Jahr 1986, denn dank der nach Indien verkauften Produktionsanlagen lief dort die Fertigung des Premier 118 an. Eine in dieser Form einzigartige Erfolgsstory, die den Fiat 124 aber nicht vor dem Vergessen schützte. Denn der Kultstatus eines Käfers bleibt dem weltweit populärsten Italiener bis heute verwehrt.