Gleich in zweifacher Hinsicht ist der Kia EV9 ein Lademeister. Es geht viel hinein (Personen, Gepäck) und es geht viel Strom hinein. Mit wirklich aufdringlichen Assistenzsystemen müssen sich die Insassen trotzdem herumschlagen.
Bemühen wir doch einmal den Thesaurus: Koloss, Gigant, Trumm, Monstrum, Riese. All diese Synonyme treffen auf den Kia EV9 zu. Kein Wunder, immerhin handelt es sich bei dem koreanischen Elektroauto um ein 5,01 Meter langes, 1,98 Meter breites, 1,78 Meter hohes und 2,7 Tonnen schweres Fahrzeug, das auf der "Electric Global Modular Platform“ basiert und optisch klare Kante zeigt.
In der GT-Line-Variante verfügt das Kia-Flaggschiff über zwei Permanentmagnet-Synchronmotoren – einer an der Vorderachse und einer an der Hinterachse. Dadurch bietet das Modell einen elektrischen Allradantrieb. Die beiden Motoren liefern eine Leistung von insgesamt (283 kW) 385 PS und 700 Nm Drehmoment, angemessen für das Kia-Topmodell.
Der EV9 beschleunigt in 5,3 Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde und die Höchstgeschwindigkeit wird bei 200 km/h elektronisch begrenzt – 20 km/h später als beim VW ID.7 Tourer GTX, und das ist das Sportmodell von VW. Der Antrieb sorgt für eine gleichmäßige, kraftvolle Beschleunigung und bietet in nahezu jeder Fahrsituation dank maximal 700 Newtonmeter Drehmoment wirklich reichlich Reserven und ausgezeichnete Traktion. Das Fahrwerk ist auf Komfort abgestimmt, der großzügige Radstand von 3,10 Metern tut sein Übriges zum angenehmen Fahrgefühl wie die passenden 21-Zöller.
Dank der guten Isolierung bleiben Fahr- und Windgeräusche weitgehend draußen, lässig thronen die Insassen auf ihrer erhöhten Sitzposition und genießen erhaben die langen Autobahnetappen. Ein duales Panorama-Glasdach ist optional für beide Ausführungen erhältlich und gehört bei der GT-Line Launch Edition zur Serienausstattung. Es sorgt für ein noch großzügigeres Raumgefühl im gänzlich sehr hochwertig anmutenden Interieur.
Wer schnell fährt, muss allerdings schneller nachladen, klar: Bei höherem Tempo jenseits der 130 Kilometer pro Stunde kann der Stromverbrauch auf mehr als 30 Kilowattstunden pro 100 Kilometer ansteigen, was die Reichweite trotz der großen 99,8 Kilowattstunden-Batterie auf gut 300 Kilometer (bei sommerlichen Temperaturen) reduziert, bevor eine Ladung erforderlich wird.
Kia gibt den WLTP-Verbrauch mit 22,8 Kilowattstunden pro 100 Kilometer an. Realistisch sind in der Praxis, natürlich temperaturabhängig, zwischen 25 und 30 Kilowattstunden. Eine Wärmepumpe ist übrigens serienmäßig integriert.
Dank der 800-Volt-Technik lässt sich der Kia EV9 mit bis zu 210 Kilowatt (theoretisch) schnell aufladen. Ab etwa 60 Prozent Ladezustand aufwärts geht es allerdings nur noch etwa halb so schnell. An einer Wallbox (schnelles AC-Laden mit 22 Kilowatt ist nicht möglich) dauert eine vollständige Aufladung mit dann nur 11 Kilowatt von null auf 100 Prozent etwa 10 Stunden und 30 Minuten.
Apropos Wallbox: Was fehlt? Für ein über fünf Meter langes Fahrzeug ist ein nur fünf Meter langes AC-Ladekabel schlicht für viele Einsatzzwecke zu kurz. Praktisch dagegen ist die serienmäßige Vehicle-to-Load-Funktion (V2L), mit der sich der Akku über eine Steckdose im Gepäckraum als 220-Volt-Stromquelle nutzen lässt. Und obwohl die gefahrene Launch Edition quasi Vollausstattung bietet (viel mehr als die Farbe oder Anhängerkupplung ist nicht mehr wählbar), müssen Halter oder Besitzer tatsächlich noch 259 Euro extra für ein 230-Volt-Ladekabel investieren, falls eine (abgesicherte) Haushaltssteckdose mal die letzte Lademöglichkeit sein sollte.
Im Kia EV9 GT-Line sind vorne serienmäßig elektrisch einstellbare Entspannungssitze ("Premium-Relaxation-Sitze" mit Heizung, Ventilation und Lordosenstütze) verbaut, die sich bei Park- oder Ladestopps in eine Liegeposition bringen lassen, eine Beinauflage bieten und extrem bequem sind. Ein Fahrersitz mit Massagefunktion und ein Head-up-Display gehören ebenfalls zur Standardausstattung des Kia EV9 GT-Line – nützliche Features für Vielfahrer.
Die GT-Line-Version bietet außerdem adaptive Dual-LED-Scheinwerfer und Sportpedale. Zusätzlich sind eine Wärmepumpe für die Innenraumklimatisierung und bei den Allradversionen ein Fahrwerk mit Niveauregulierung hinten integriert.
Bei voller Nutzung aller Sitze bietet der Kofferraum ein Volumen von 333 Litern. Klappt man die letzte Sitzreihe elektrisch um, stehen bereits 828 Liter Stauraum zur Verfügung. Werden auch die Sitze der mittleren Reihe umgelegt, lässt sich das Ladevolumen auf beeindruckende 2.318 Liter erweitern – Platzangst kommt hier also nicht auf.
Richtig praktisch: Die beiden hinteren Sitzreihen lassen sich elektrisch vom Kofferraum aus umlegen. Der beleuchtete Frunk vorne fasst übrigens beim Allradler 52 Liter, beim Hecktriebler sind es 90.
Zur Serienausstattung gehört eine Armada von Assistenten, von denen leider einige nervig sind. Der Aufmerksamkeitswarner meldet sich akustisch oft schon nach nur wenigen Minuten, der „Tempobimmler“ klingelt bereits bei der Überschreitung des Tempolimits um nur einen Kilometer pro Stunde aufdringlich, beim Einscheren nach dem Überholvorgang meldet sich der Tote-Winkel-Warner selbst dann, wenn man erst etliche Meter nach dem Überholvorgang mit viel Sicherheitsabstand wieder einschert, der Spurhalteassistent greift doch arg rüde ins Geschehen ein. Zu allem Überfluss muss man sich auch noch umständlich durchs Menü wühlen, um die Systeme vor der Fahrt zu deaktivieren. Diese Bedienungslogik hat Kia einfach nicht gut hinbekommen.
Ein weiteres Highlight der Allradvariante des EV9 ist hingegen seine Anhängelast: Bis zu 2,5 Tonnen darf das Fahrzeug ziehen. Dazu bietet Kia jede Menge Zubehör an, mit dem sich der Wagen individuell an persönliche Reise- und Freizeitbedürfnisse anpassen lässt. Die Auswahl reicht von einem aufblasbaren Stand-up-Paddle-Board über Dachboxen und Fahrradträger für die Anhängerkupplung bis hin zu Trenngittern und einer Schutzwanne für den Gepäckraum.
Der Kia EV9 GT-Line Launch Edition AWD überzeugt als vielseitiges und komfortables Elektro-SUV, das gigantisch viel Platz, hohe Leistung und viel Technik bietet. Einige Assistenzsysteme erweisen sich jedoch als unnötig aufdringlich, der Ladevorgang könnte zuweilen noch schneller sein. Mit seinem kraftvollen Antrieb, der beeindruckenden Anhängelast und dem luxuriösen Innenraum ist er sowohl für Langstreckenfahrten als auch für den Alltag gut gerüstet. In der Stadt sollte man sich des stattlichen Wendekreises von zwölfeinhalb Metern und der sonstigen Abmessungen gewiss sein. Bleibt noch der Preis: mt über 85.000 Euro ist dieser Korea-Stromer der bislang teuerste Kia. Vieles an diesem Fahrzeug ist eben kolossal.